Nach Wolken greifen

29.7. – 22.10.2023 I Städtische Galerie Karlsruhe

Tenki Hiramatsu, White Flag, 2022

Tenki Hiramatsu in der Städtischen Galerie Karlsruhe

Es ist schummrig. Grüne, blaue und schwarz-braune Farbfelder dämmern vor sich hin. Etwas Raum wabert durch die Darstellung, aber nur wenig. Und dann sind da Gestalten, immateriell und durchsichtig, die individuell aus der Materie der Malerei hervorgehen. Einmal gibt es nur Augen, Nase und Mund, die im Grünen zu einem traurigen Ausdruck verschmelzen. Daneben eine Halbfigur, selbstsicherer, angedeutet in karikierendem Blau. Und schließlich eine stark schematisierte Figur in flächigem Braun.

Die Arbeit „O.T. (Drei Typen)“ stammt von dem jungen Künstler Tenki Hiramatsu und ist in diesem Sommer Teil der Einzelschau „Unendliche Zigarettenpause“. Die Ausstellung vom 29. Juli bis 20. Oktober 2023 in der Städtischen Galerie in Karlsruhe gehört zum Kunstpreis der Werner-Stober-Stiftung, den der japanische Maler vor einem Jahr gewonnen hat. 

Tenki Hiramatsu wird 1986 im japanischen Wakayama geboren und macht am College of Art der Nihon University in Tokio seinen BA. Anschließend studiert er von 2016 bis 2019 an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Marcel van Eeden und Daniel Roth. Für den Kunstpreis, der ausschließlich Absolventinnen und Absolventen der Akademie vorbehalten ist, wird er von den dortigen Lehrkräften ausgewählt. Zu dem Zeitpunkt haben seine Werke bereits erstes internationales Interesse geweckt, so dass sie nicht nur in Deutschland, sondern vereinzelt auch in der Schweiz, in England, den USA und in Japan gezeigt werden.

Während eines Besuchs beim Künstler in dessen Karlsruher Atelier beschreibt er, wie seine Bilder entstehen. Hiramatsu legt in jeder Darstellung mehrere Schichten an, was lange dauert, weil die Trocknung der Ölfarbe auf Leinwand oder Holz Zeit in Anspruch nimmt. An der Rückwand des großen hellen, in einem Hinterhof gelegenen Raums hängen und lehnen zahlreiche Werke in Arbeit, viele in natürlichen, erdigen Tönen. Meist geht der Maler lasierend vor, so dass der jeweilige Untergrund durchscheint. Der Pinselstrich ist gestisch und bringt Bewegung in die Komposition. Lange bleibt diese gegenstandslos, bis durch die Überlagerung erste an Landschaft oder Architektur erinnernde Räume sichtbar werden. In permanenter Reaktion auf Form und Farbe „entdeckt“ der Künstler schließlich auch Figürliches in der Darstellung und lässt angedeutete Physiognomien oder Wesen an der Oberfläche erscheinen. Hügel bekommen Augen, Violinschlüssel Beine, abstrakte Farbfelder verziehen das Gesicht. Dadurch wirkt das Bildgeschehen beeindruckend beseelt. 

„Ich bin immer auf der Suche nach einer guten Linie“, erklärt der Künstler, der in der Akademie nur auf Papier gearbeitet hat. „Es fühlt sich so an, als wollte ich nach Wolken greifen“, bezieht er sich auf ein japanisches Idiom. Und damit steht auch der Rauch im Zusammenhang, der sich bei einer „Unendlichen Zigarettenpause“ ebenso schwer fassen lässt.

Julia Behrens ist Kunsthistorikerin und interessiert sich besonders für den Aspekt der Kunstentstehung. Sie schätzt das Gespräch mit Künstlern und geht gern ins Atelier.

Tenki Hiramatsu. Unendliche Zigarettenpause
29.7. – 22.10.2023
Städtische Galerie Karlsruhe
Lorenzstr. 27
D-76135 Karlsruhe
Tel.: +49-721-1334444
Eintritt: 8 €, erm. 6 €
www.staedtische-galerie.de

Text: Dr. Julia Behrens  
Bild: Städtische Galerie Karlsruhe
Erstveröffentlichung in kunst:art 92