Das Werk erneuert sich stets in der Wiederholung

17.6. – 5.11.2023 I Kunstmuseum Stuttgart

Wolfgang Laib, Blütenstaub von Haselnuss (Detail), 2013

Wolfgang Laibs Arbeiten aus Blütenstaub, Reis, Bienenwachs im Kunstmuseum Stuttgart

„Mein Werk und mein Leben haben sich in den letzten zwanzig Jahren kaum verändert“, sagte der Bildhauer Wolfgang Laib (* 1950 in Metzingen) anlässlich seiner Ausstellung im Kunsthaus Bregenz im Jahre 1999. Ein Zitat, das über zwei Jahrzehnte später nach wie vor uneingeschränkte Gültigkeit hat, wie man nun bei der Ausstellung „Wolfgang Laib. The Beginning of Something Else“ im Kunstmuseum Stuttgart feststellen kann. Auch die Auszeichnung mit dem hoch dotierten Praemium Imperiale, den Laib 2015 in Tokio für sein überragendes singuläres Werk erhielt, änderte nichts an seinem Schaffen, an seinem überschaubaren Werk, das sich stets aus der immer gleichen Wiederholung erneuert. Seit er 1974 das Medizinstudium abgeschlossen und sich ganz der Kunst gewidmet hat, arbeitet er mit denselben Elementen: Blütenstaub, Marmor, Bienenwachs, Milch und Reis. Er verwandelt sie durch geometrische Formen in Berge, Häuser, Türme, Treppen, Boote.

Gleichsam einer mönchischen Tagesroutine entzieht sich Laib dem Leistungsdruck, immer etwas Neues produzieren zu müssen. Der global agierende Künstler mit Wohnsitzen in Südindien, New York City und einem Dorf in der Nähe des oberschwäbischen Biberach ist nicht an Innovation interessiert, sondern an Kontinuität. Seine Arbeiten orientieren sich am Kreislauf der Natur, dem er auch voll und ganz sein Leben unterordnet. Insbesondere Pollen hat für Laib eine besondere Bedeutung, da er eine Verbindung zur Natur, zum Leben und zur Erneuerung darstellt. Morgens geht Laib hinaus auf die Felder und sammelt Pollen von Haselnusssträuchern, Löwenzahn, Hahnenfuß und Kiefern. Er macht alles selbst und gibt weder die Arbeit am Material noch die Präsentation aus der Hand. Das Geschick liegt darin, das Wenige im richtigen Zusammenhang so zu platzieren, dass alle Schwerkraft aufgehoben scheint und der Besucher aus dem Entstehungsprozess heraustritt, um von einer stimmigen Atmosphäre des Schönen umgeben zu sein.

Für das Kunstmuseum siebte der Künstler Kiefernblütenstaub in einem großflächigen Rechteck auf den Boden. Durch die pudrige Stofflichkeit scheint die gelbe Fläche zu schweben. Laibs Arbeiten aus Blütenstaub wecken Assoziationen an eine ephemere Variante des Minimalismus. Doch nicht die Form ist für die Rezeption des Kunstwerks entscheidend, sondern der Blütenstaub selbst mit seiner unterschiedlichen Farbe und Struktur als Urstoff des Lebens. Ohne Blütenstaub gäbe es keine Bienen und folglich kein Bienenwachs, das Wolfgang Laib seit 1987 für sein künstlerisches Schaffen nutzt. Aus dem weichen organischen Material mit dem angenehmen Duft formt er Boote, baut daraus enge Kammern, schichtet es in Blöcken zu monumentalen Stufenpyramiden auf oder gestaltet „Türme des Schweigens“. Für die Installation „Reisfeld“ hat Wolfgang Laib ein ganzes Stockwerk mit tausenden kleinen Reisbergen bedeckt und schließlich gibt es in Stuttgart noch ein Wiedersehen mit dem schlichten wie gleichsam legendären marmornen „Milchstein“, dessen subtile Vertiefung in einer rituellen Handlung mit Milch befüllt wird. Laibs Kunst erinnert uns daran, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind und dass die Suche nach Schönheit und Bedeutung eine universelle und zeitlose Sehnsucht ist.

Stefan Simon lebt und arbeitet als Journalist in Süddeutschland.

Wolfgang Laib. The Beginning of Something Else
17.6. – 5.11.2023
Kunstmuseum Stuttgart
Kleiner Schlossplatz 1
D-70173 Stuttgart
Tel.: +49-711-21619600
Di – So 10 – 17 Uhr, Fr 10 – 20 Uhr
Eintritt: 11 €, erm. 8 €
www.kunstmuseum-stuttgart.de

Text: Stefan Simon
Bild: Kunstmuseum Stuttgart
Erstveröffentlichung in kunst:art 92

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