Oscar Tuazon in der Kunsthalle Bielefeld
Wo verläuft die Grenze zwischen Architektur und Kunst? Oscar Tuazon bewegt sich in seinem künstlerischen Schaffen fließend in diesem Grenzbereich. Interdisziplinär lotet er neben Fachbereichen auch Genregrenzen mit raumgreifenden architektonischen Installationen aus. Objekte, Strukturen und Skulpturen bewegen sich zwischen Minimalismus, Konzeptkunst und Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts und sind nicht nur Raumgestaltung, sondern auch Bühne für Besucherinnen und Besucher. Die Objekte aus natürlichen und industriellen Materialien bilden einen Ort, welcher Begegnung ermöglicht und in dem gesellschaftspolitischer Austausch einen Raum zur Reflexion bekommt.
Vom 19. August bis zum 12. November zeigt die Kunsthalle Bielefeld mit der Einzelausstellung „Oscar Tuazon. Was wir brauchen“ einen Querschnitt seines Œuvres der vergangenen zwanzig Jahre. Im Mittelpunkt stehen großformatige architektonische Installationen, wie die vor Ort ausgearbeiteten gegenwärtigen Werke „Building“ (2023), „Cedar Spring Water School“ (2023) und „Great Lakes Water School“ (2023). Konzipiert sind diese als skulpturaler Treffpunkt, offener Hörsaal und Diskussionsraum in einem. So konnten Architekturstudentinnen und -studenten der ETH Zürich im Rahmen der Präsentation im Kunst Museum Winterthur hierin ihre Vorlesungen hören und mit Besuchern der Ausstellung hierüber in Kontakt kommen.
Die immersiven Kunstwerke mit Aufforderungscharakter laden zur Grenzüberschreitung, einem „sich Hineinbegeben“ ins Werk ein. Skelettartig deutet „Building“ (2023) die Umrisse eines Hauses an, mit Kamin in der Mitte samt wohliger Wärme, vor dem man sich sammeln möchte. Tatsächlich ist der Grundriss ein verkleinertes, jedoch maßstabsgetreues Modell des eigenen Wohnsitzes des Künstlers. Unfertig wirkend, einer Skizze ähnelnd, bietet die Arbeit Projektionsfläche für den Betrachter. Tuazon schafft durch Reduktion auf wesentliche Elemente einen „Raum im Raum“, einen häuslichen Umriss, welcher den Betrachter vom Inneren des Ausstellungsraumes ins draußen vor dem Haus stehend katapultiert. Doch die Begrenzung dient ebenso der Aufhebung derselben. Eingänge und fehlende Wände machen das Innere begeh- und sichtbar. Das Spiel mit Grenzandeutung und Grenzauflösung lädt zum „outside the box“ Denken ein und fördert freieres Denken, welches für die Gestaltung globaler Zukunft notwendig ist. In enger Beziehung zum Publikum entwirft Tuazon Räume zur Versenkung in essenzielle Fragen nach menschlichen Bedürfnissen, der Bedeutung von Kunst und Kultur bei Herausforderungen der Gegenwart wie Nachhaltigkeit, Energie- und Umweltpolitik. Auch Architektur, Stadtplanung und Zukunftsgestaltung spielen im intuitiven Schaffensprozess des Künstlers eine grundlegende Rolle. „Was wir brauchen“ reflektiert die Anregung des Künstlers zur Dezimierung auf das Wesentliche. Was ist absolut notwendig und unverzichtbar? Eine spannende und wichtige Frage im Angesicht unserer Zeit und zu deren Überdenken Oscar Tuazon in der Kunsthalle Bielefeld unter anderem „sein Haus“ zur Verfügung stellt.
Johanna Bayram arbeitet als freie Autorin.
Oscar Tuazon. Was wir brauchen
19.8. – 12.11.2023
Kunsthalle Bielefeld
Artur-Ladebeck-Str. 5
D-33602 Bielefeld
Tel.: +49-521-32999500
Di – So 11 – 18 Uhr, Mi 11 – 21 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 4 €
www.kunsthalle-bielefeld.de
Text: Johanna Bayram
Bild: Kunsthalle Bielefeld
Erstveröffentlichung in kunst:art 92