Eva Fàbregas im Hamburger Bahnhof in Berlin
Mit der aktuellen Ausstellung „Devouring Lovers“ (Verzehrende Liebende) der katalanischen Künstlerin Eva Fàbregas hat Berlin endgültig ein Kapitel hinter sich gelassen. Denn das Museumsgebäude mit Grundstück war zwischenzeitlich an einen Immobilienentwickler verkauft, der tatsächlich mit dem Gedanken spielte, dort ein Hotel einziehen zu lassen, und der Abriss der Rieckhallen war gleich mitbeschlossen. Erst der Abzug der Sammlung Flick sorgte dafür, dass die Politik aufwachte, und so steht der Besucher heute vor einer außergewöhnlichen Ausstellung.
Eva Fàbregas (* 1988 in Barcelona) ist mit einer monumentalen Installation in die historische Halle des Hamburger Bahnhofs eingezogen. Es ist die bisher größte Einzelausstellung der katalanischen Künstlerin, die ihren Lebensmittelpunkt in London hat. Die Abgängerin des Chelsea College of Art and Design in London hat seit 2013 daran gearbeitet, die Grenzen des Skulpturalen zu erweitern. Spätestens nach ihrer Ausstellung in der Kunsthal in Gent (2021) wurde sie einem internationalen Publikum bekannt durch ihre amorphen Skulpturen, die ebenso als Klanginstallationen wirken. In Berlin verwandelt sie nun die industriellen Eisenträger der historischen Bahnhofsarchitektur in einen organisch gewachsenen Raum.
Ihr Werk nimmt in dem historischen Gebäude die architektonisch angelegte Durchgangssituation der Bahnhofshalle auf, indem ihre charakteristisch weichen, körperlich anmutenden Objekte seitlich in die Halle eindringen. Die tiefen Töne der Klanginstallation sind räumlich nicht eindeutig zuzuordnen, aber durch ihre Vibrationen körperlich spürbar. Die Verbindung von Skulptur und Klang irritiert bei den Besuchern die Wahrnehmung der eigentlich klaren Ausrichtung der ehemaligen Bahnhofshalle. Hier scheinen die Grenzen zwischen technisch erzeugten, menschlichen und nicht-menschlichen Welten in einer organisch-technischen Umgebung zu verschwimmen.
Die großen Formen ihrer Skulpturen oszillieren zwischen natürlich und prothetisch, durchqueren materiell die Binarität von weich und hart und interagieren mit unseren Körpern, die sie berühren oder nicht. Ihr Raumexperiment bereitete sie in Deutschland bereits 2019 im Kunstverein München durch ihre Ausstellung “Those things that your fingers can tell” vor, die in ihrem Stadium damals den Höhepunkt ihrer Forschungen zu haptischem Klang darstellte. Damals waren es großformatige, klumpige Skulpturen, in denen unterschiedliche Frequenzen durch Bässe widerhallten, die über eine Reihe von Subwoofern durch die Werke gepumpt werden, so als wären sie an einer akustischen Lebenserhaltungsmaschine angeschlossen.
Ganz anders noch als in ihrem Frühwerk mit Skulpturen, die durch den Raum wie erotisch aufgeladene Körper in einem überfüllten Nachtclub in ekstatischer Ausgelassenheit bebten. Dennoch galt damals wie heute: Die riesigen, bauchigen Körper hingen farbintensiv und sich schlängelnd von der Decke. Dabei lockten sie die Betrachter in einen vibrierenden Laufstall, der genauso Sarah Lucas’ geschwollenen, unterwürfigen Formen ähnelt wie auch Ernesto Netos raumgreifend biomorphen Gebilden.
Fàbregas spielt mit der Fantasie der Betrachter. Ihr Verständnis, dass die Befriedigung des Verlangens zutiefst von unserer Unfähigkeit abhängt, das zu berühren, zu spüren oder zu fühlen, was wir uns so sehr wünschen, bleibt der Kern ihrer Arbeit – auch in Berlin. Und indem sie mehr Lust erzeugt, als sie befriedigt, erinnert uns Fàbregas an die Kernthese, dass das Begehren immer unerfüllt bleiben muss, um zu existieren.
Sebastian C. Strenger lebt und arbeitet als Autor in Berlin.
Eva Fàbregas. Devouring Lovers
6.7.2023 – 7.1.2024
Hamburger Bahnhof
Nationalgalerie der Gegenwart
Invalidenstr. 50 – 51
D-10557 Berlin
Tel.: +49-30-266424242
Di – Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 14 €, erm. 7 €
www.smb.museum
Text: Sebastian C. Strenger
Bild: Hamburger Bahnhof
Erstveröffentlichung in kunst:art 92