Existenziell und Exzessiv

11.11.2023 – 14.4.2024 I Städtische Galerie Böblingen

Danielle Zimmermann, Bon Appetit!, o.J.

Die Städtische Galerie Böblingen eröffnet den Diskurs über Drogen und Kunst

Anhand von Werken der Kunstgeschichte – 30 zeitgenössischen sowie 10 klassischen – befragt die Städtische Galerie Böblingen ein gleichermaßen kulturhistorisches, soziales, gesellschaftliches wie kulturelles Phänomen und befasst sich erstmalig im deutschsprachigen Raum mit der Thematik von Rauschzuständen und Drogenkonsum im künstlerischen Kontext. Dabei gibt sie facettenreiche Einblicke in die Historie von Genuss-, Heil- und Suchtmitteln im 20. Jahrhundert bis hin ins 21. Jahrhundert, das sich derzeit an der Kontroverse um die Legalisierung von Cannabis abarbeitet. 

Wegweisende Impulse für die Gruppenausstellungen gaben die zum Bestand der Kunstsammlung der Stadt Böblingen gehörigen Werke „Der Raucher“ von Tell Geck – im Jahr 1926 in Manier der Neuen Sachlichkeit entstanden – sowie die drei erhaltenen „Stammtisch-Bilder“, die zwischen 1938 und 1944 von Fritz Steisslinger geschaffen wurden.

Ob Zigaretten, Joints, Koks, Absinth, Alkohol, Opium oder Crystal Meth – ob harte oder weiche Drogen –, der Konsum jener Rausch- und Suchtmittel ist weder in den Bildgebungen der letzten Jahrhunderte noch hinter den Kulissen in den Ateliers als kreativer Katalysator wegzudenken. Auch schockieren die ausschweifenden Partys von zahlreichen Künstler-Ikonen wie Andy Warhol, die Kunst und Rausch populär verschmelzen ließen, heute kaum.

Wenn Van Gogh sich zugunsten kreativen Schaffens mit der grünen Fee benebelte, Drogen-Exzesse bei Jonathan Meese oder Arnulf Rainer und die Alkoholsucht bei Jackson Pollock in ihrem Schaffen gleichermaßen als Treibstoff und Zündstoff gelten, so beweisen diese vornehmlich männlichen Künstler-Viten auch, dass sich nicht nur die Kunststile und Ausdrucksformen historisch gewandelt haben, sondern sich auch die Drogen an den Puls der Zeit angepasst haben: Waren etwa Paul Gauguin oder Henri de Toulouse-Lautrec dem Absinth verfallen, schrieb Jean Cocteau Opium-Tagebücher und war von Ernst Ludwig Kirchner eine Medikamentenabhängigkeit bekannt, so vereinen sich all diese epochenübergreifenden Künstler in einem Punkt. Allen gemein scheint das zutiefst humane Begehren nach der Erforschung des Essentiellen sowie die Suche nach transzendentalen Seinszuständen.

Die Ausstellung verdeutlicht – ohne dabei zu werten –, dass die Grenze zwischen Legalität und Illegalität oftmals unerheblich ist und der Konsum sinnstimulierender Substanzen vielmehr allgegenwärtige Praktik als Methode, Mittel und Motiv in der Modernen Kunst und keineswegs nur Phänomen einer Randgruppe ist.

Die meisten Arbeiten – darunter Jim Avignons Rauminstallation „The Roaring Nineties  – werden vor Ort als raumgreifende, immersive und interaktiv-partizipative Arrangements realisiert und an die Räumlichkeiten des Böblinger Museums angepasst. So entsteht ein einzigartiger Parcours für das Publikum, der es erlaubt, die Vielschichtigkeit zwischen Sinnsuche und Sucht gedanklich nachzuempfinden und die zeit- und kontextbezogenen Veränderungen von suchtfördernden Stoffen zu verstehen  – ohne Tabuisierung, vielmehr als notwendige Disposition.

Schall + Rau(s)ch: Dunstkreis der Dosierung!
11.11.2023 – 14.4.2024
Städtische Galerie Böblingen
(Museum Zehntscheuer)
Pfarrgasse 2
D-71032 Böblingen
Tel.: +49-7031-6691705
Mi – Fr 15 – 18 Uhr, Sa 13 – 18 Uhr, So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 2,50 €
www.staedtischegalerie.boeblingen.de

Text: Dr. Denise Susnja
Bild: Städtische Galerie Böblingen
Erstveröffentlichung in kunst:art 94