Poesie, Handwerk und weibliche Identität
Für viele Menschen heute ist Barock ein lang erledigtes Zeitalter, spätestens das Reinheitsgebot des puritanischen Modernismus hat den Schnörkeln den Garaus gemacht. Joana Vasconcelos aber sieht das gaaaanz anders! Die Portugiesin (* 1971) huldigt geradezu ausschweifend barocker Formsprache und üppiger Materialfülle. Kein Wunder, könnte man sagen, leitet sich doch der Begriff Barock selbst vom Portugiesischen her, wo das Wort ursprünglich eine unregelmäßig geformte Perle bezeichnete, bevor es erst zur Stil- und Epochenbezeichnung und dann zum Kurzwort für allerlei Sonderbares und Bizarres wurde.
In Vasconcelos‘ Universum – barock „and proud of it“! – laden uns zwei Ausstellungen in Schleswig-Holstein ein, im Museum Gottorf in Schleswig und dann, eine Exkursion in den noch etwas höheren Norden, in der ehemaligen Eisenhütte in Büdelsdorf (bekannt durch die jährlich ebendort stattfindende NordArt). Zur barocken DNA gehört seit dem 17. Jahrhundert die gegenseitige Integration der verschiedensten Medien. Joana Vasconcelos ist eine würdige Tochter dieser Tradition: Schon beim Auftritt auf der Biennale in Venedig 2013 – er machte sie international bekannt – hatte sie für Portugal eine alte Lissabonner Hafenfähre zum schwimmenden Pavillon gemacht, der, von melancholischen Fado-Klängen durchdrungen, die Geschichte der Stadt in „Azulejos“ erzählte. Ausstellungen im Guggenheim Bilbao und Schloss Versailles setzten diese Linie fort, in der sich bildende Kunst, Mode und Design anstrengungslos miteinander verbinden. „Le Château des Valkyries“ im Schloss Gottorf nun ist eine überbordende Rauminstallation: floral, tentakelartig und verschärft farbenprächtig.
Vasconcelos‘ Werk ist gekennzeichnet durch ihre Wertschätzung traditioneller Handwerks- und Handarbeitstechniken. Sie benutzt zwar bedenkenlos moderne Technologien, legt aber unbedingten Wert auf die auratische Qualität, die eben nur mit der Handarbeit und ihren unvermeidlichen Irregularitäten zu erreichen sei. Genau deshalb liebt sie auch die einstmals so genannten „weiblichen Handarbeiten“; manchmal freilich kräftig gegen den Strich gebürstet, wenn mit knallroten Einweg-Bestecken gehäkelt wird … Vor dem Eisengussmuseum in Büdelsdorf prangt eine überdimensionale, begehbare eiserne Teekanne, die aber so leicht wirkt, als sei sie zierlich geflochten. Vasconcelos spielt vielhändig auf Klavieren der Assoziation: Das Material Eisen beschwört die Mode gusseiserner Gartenmöbel und Pavillons herauf, wie sie vormals in der Büdelsdorfer Carlshütte gegossen wurden. Aber man könnte hier auch an die Teegesellschaft von „Alice im Wunderland“ denken, in welchem sich ja gleichfalls verstörende Maßstabssprünge ereignen, oder an Katharina von Berganza, die den Tee durch ihre Heirat mit König Charles II. aus ihrer portugiesischen Heimat nach England brachte. Zur Mitgift gehörte übrigens auch Bombay, was die britische Herrschaft in Indien begründete. Aber das wäre eine andere Geschichte …
Dieter Begemann interessiert sich (auch) für die angewandte Gestaltung, Kunsthandwerk oder Design: kurz, für die Raffinessen der Dinge!
Joana Vasconcelos. Le Château des Valkyries
1.5. – 3.11.2024
Schloss Gottorf
Schlossinsel 1
D-24837 Schleswig
Tel.: +49-4621-813222
Mo – Fr 10 – 17 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 10 €
www.schloss-gottorf.de
Joana Vasconcelos. Le Château des Valkyries
1.5. – 3.11.2024
Eisenkunstguss Museum Büdelsdorf
Ahlmannallee 5
D-24782 Büdelsdorf
Tel.: +49-4331-4337022
Di – So 11 – 16 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 4 €
www.das-eisen.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Schloss Gottorf
Erstveröffentlichung in kunst:art 97