Vom Eisenguss zum Kunstgenuss
Nicht zur Biennale in Venedig? Und Kassel ohne „documenta“? Kein Problem, dem neugierigen Kunstfreund ist auch so ein (mal wieder) sehr üppiges Menü angerichtet: Die NordArt lädt zu ihrer diesjährigen Ausgabe, die damit zugleich das 25. Jubiläum feiert. Es handelt sich um eine der größten, im jährlichen Turnus stattfindenden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Europa. Das Format ist also etabliert, rund 3.000 Bewerbungen von Künstlern und Künstlergruppen trudelten diesmal in Büdelsdorf ein. Dort liegt, dem Nord-Ostsee-Kanal unmittelbar benachbart, das Gelände der historischen Eisengießerei, die in Umnutzung der alten, unter Denkmalschutz stehenden Industriearchitektur, zur Heimat der NordArt geworden ist. In einem mehrstufigen Juryprozess kristallisierten sich allmählich die 200 Finalisten heraus, deren Werke nun zu sehen sind.
Und wieder einmal scheint die anspruchsvolle Aufgabe bravourös gelöst, aus so einer großen Menge von Exponaten in allen möglichen Medien – Malerei, Zeichnung, Plastik, Raum-Installation, Foto, Video und noch viel mehr – auch eine stimmige Gesamtschau zusammenzustellen. Das Team um Chefkurator Wolfgang Gramm kann dabei zurückgreifen auf die vielfach unterteilten Räume der Gießereihalle, die 22.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche bereitstellt, die zusätzliche Wagenremise und nicht zuletzt das Freigelände mit seinen 80.000 Quadratmetern. Die abwechslungsreiche Mischung von weiten Rasenflächen, intimeren Zonen, Licht und Schatten unter großen Bäumen sowie mehreren Wasserflächen gibt den Werken eine wirksame Bühne – und dem Publikum Raum zum Flanieren und Studieren (sowie die willkommenen Gelegenheit zum Verschnaufen in einem hübschen Café).
„Wie ein Seismograf zeichnet die Kunst die Erschütterungen der Gesellschaft auf. Sie spiegelt die Wahrheit und die Sehnsüchte der Menschheit wider. Künstlerinnen und Künstler in aller Welt sind auf dem Weg, um aus den Erfahrungen der Vergangenheit Träume für die Zukunft zu bauen. Sie schürfen wie die Archäologen in alten Zeiten, sezieren gesellschaftliche Entwicklungen der Jetztzeit – und setzen neue Utopien gegen die Hoffnungslosigkeit“, so fasst der Kurator das Programm der NordArt zusammen. Das Vierteljahrhundert-Jubiläum ist Anlass, die 57 seit 2010 ausgezeichneten Preisträger noch einmal einzuladen mit alten und neuen Arbeiten: Was hat sich getan? Jüngster Preisträger ist Lubo Mikle (Slowakei), dessen auf den Spitzen balancierendes Container-Ensemble einen schwerelosen Tanz auszuführen scheint. Zum wiederholten Male gibt es wichtige (und oft sehr beeindruckende) künstlerische Positionen aus China im Kunstwerk Carlshütte zu sehen; die Mongolei hat – im Rahmen des 50. Jubiläums diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und dem fernöstlichen Land – ihren besonderen Auftritt in der Wagenremise. Weitere Soloprojekte runden eine Ausstellung ab, die es auch dieses Jahr locker schafft, zu begeistern für und mit Kunst: So überraschend, so eindrucksvoll, so reflektiert, so witzig!
Dieter Begemann ist Künstler und Kunstwissenschaftler, der Architektur, Design, Autos und Italien liebt!
NordArt 2024
1.6. – 6.10.2024
Kunstwerk Carlshütte
Vorwerksallee
D-24782 Büdelsdorf
Tel.: +49-4331-354695
Di – So 11 – 19 Uhr
Eintritt: 18,50 – 21 €, erm. 16 – 18 €
www.nordart.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Kunstwerk Carlshütte
Erstveröffentlichung in kunst:art 98
