Aus der gehörten Welt
Sie ist nicht bei Josef Šíma – dem tschechisch-französischen Maler (1891–1971) – in die Schule
gegangen, dessen Palette so stark strahlen konnte, dass ihn die Pariser Gruppe „Le Grand Jeu“ wegen
seiner geheimnisvollen Poesie gerne in ihre Reihen aufnahm. Auch nicht bei Toyen, eigentlich Marie
Čermínová (1902–1980), die mit 22 Jahren der tschechischen Avantgardegruppe Devetsil beitrat, um
bald darauf zum ersten Mal von Prag nach Paris zu wechseln, wo sie mit Jindrich Styrsky eine
Alternativbewegung zu Abstraktion und Surrealismus gründeten: „Sich als Maler mit dem Dichter zu
identifizieren“, war ihr Credo. 1947, die stalinistische Ära voraussehend, kehrte sie aus Prag nach Paris
zurück. Und sie lernte auch nicht beim tschechischen Maler Jan Zrzavy (1890–1977), dem die
tschechische Kunst eine „Modernismus“-Bewegung verdankt, die Poetismus hieß.
Doch alle drei könnten zu den Künstlern der Moderne gehören, deren Werk auf die eine oder andere
Weise den malerischen Kosmos der jungen Malerin Monika Michalko beeinflussten. 1982 im
tschechischen Sokolov geboren, absolvierte sie ihr Kunststudium in Hamburg. In ihren Arbeiten finden
sich Erinnerungen, surreale Szenen, traumatische imaginäre Sequenzen mit den Ereignissen einer
realen Welt konfrontiert. Diese Welt kommt oft über das Radio in ihr Atelier, wo dann die einzelnen
Krisen, Katastrophenmeldungen oder Meldungen über tragische Begebenheiten in ihre Malerei
einfließen, jedoch immer in einer abgeänderten – oft poetischen – Form. Interessant ist, dass sich einige
Motive ihrer Malerei auch auf verschiedenen räumlichen Materialien wiederfinden: auf Teppichböden, auf
Mobiliarstücken oder auch einigen Objekten.
Für ihre Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg hat sie einige befreundete Künstler eingeladen, so dass
man von einem Cliquenkunstwerk reden kann, wo persönliche Freundschaften, Korrespondenzen und
Verbindungen die entscheidende Rolle spielen. Ein anderer, nicht minder interessanter Aspekt von
Michalkos Arbeiten sind ihre Tableaux Vivants (lebende Bilder), die auf eine große Tradition in der
Kunstwelt anspielen. Hier werden bekannte Werke der Kunstgeschichte durch lebende Personen in einer
besonderen Pose nachgestellt, ausgestattet mit den verschiedensten mit dem Motiv korrespondierenden
Requisiten. Das einstige fotografische Einzelbild nimmt Michalko als Sequenz auf, in deren Verlauf sich
beispielsweise der Körper minimal bewegt, sodass bestimmte Einzelheiten sichtbar werden. Der
Bilderflut setzt sie eine Art von Ereignislosigkeit entgegen, in der jedes neue Element meist auch einen
Kulminationspunkt der maximalen Aufmerksamkeit erfordert.
In Nürnberg ist auch ihr Tableau Vivant Ship of Fools (Das Narrenschiff) nach Motiven von Sebastian
Brandt nachgestellt, in dem das Schiff in jenem Moment eingefroren ist, wo es zu brechen droht: auch
dies eine großartige Parallele zum Zustand der heutigen Welt. Eine überaus poetische Ausstellung.
Dr. Milan Chlumsky promovierte an der Pariser Sorbonne über Ästhetik und den tschechischen
Poetismus.
Monika Michalko. Here in the Real World
29.6. – 6.10.2024
Kunsthalle Nürnberg
Lorenzer Str. 32
D-90402 Nürnberg
Tel.: +49-911-2312853
Di – So 11 – 18 Uhr. Mi 11 – 20 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 2,50 €
www.kunstkulturquartier.de/kunsthalle
Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Kunsthalle Nürnberg
Erstveröffentlichung in kunst:art 98