Was kann Einfarbigkeit?
Dieses Buch ist rot und nichts als rot. Nicht nur Rücken und äußerer Umschlag, nein, auch die gesamte Fläche der aufgeschlagenen Seiten und ringsherum der Schnitt des Buchblocks prangt in einem unmodulierten Rot. Die Arbeit des italienischen Künstlers Ettore Spalletti (1940–2019) ist ein guter Einstieg in eine Ausstellung, die sich der ganz entschiedenen Einfarbigkeit verschrieben hat. „Monochromie“ ist ein Projekt der Bremer Weserburg, des Museums für moderne Kunst im vormaligen Speicherkomplex der innenstädtischen Flussinsel, genauer gesagt, des zum Museum gehörigen Zentrums für Künstlerpublikationen. Das Museum selbst verfügt bekanntlich über keine eigene Kunstsammlung, sondern arbeitet, so das innovative Konzept seit der Gründung 1991, mit wechselnden privaten Sammlungen zusammen und bietet ihnen (oder Teilen davon) eine zeitweilige Heimstatt. So können, je nach Sammlerpersönlichkeit, die unterschiedlichsten Ausrichtungen und Perspektiven auf moderne Kunst miteinander in erhellenden Dialog treten.
Etwas anders ist das Zentrum für Künstlerpublikationen aufgestellt, denn es besitzt mittlerweile durch die ständige Pflege der eigenen Sammlung einen in Europa einzigartigen Bestand an Künstlerpublikationen und verwandten Texten. Noch kurz zum Begriff: Künstlerpublikationen meint hier Texte und Bücher, die von den Künstlern selbst mit Werkcharakter produziert wurden, also nicht etwa kunstwissenschaftliche Sekundärliteratur. Die Aufgaben eines Archivs zu Künstlerpublikationen in diesem Sinne (oder besser, mehrerer Sub-Archive), der wissenschaftlichen Erforschung und der öffentlichen Ausstellungstätigkeit werden hier vernetzt betrieben. Aus diesem imposanten Fundus – satte 1.300 laufende Meter Schriftgut! – speist sich auch die aktuelle Ausstellung.
Der Werkcharakter einer solchen Künstlerpublikation wird gleich deutlich bei der eingangs erwähnten Arbeit von Ettore Spellotti. Der mehrfache documenta- und Biennale-Teilnehmer gehört nämlich zu den prominenten Vertretern des Minimalismus, also der Verdichtung der künstlerischen Sprache auf ihre absolute Essenz. Und da erweist sich plötzlich das besagte Rot als durchaus beziehungsreich, erinnert es doch in seiner Schattierung an die vom Künstler geschätzten frühen Meister, etwa Fra Angelico oder Piero de la Francesca, und ihre geliebten leuchtenden Zinnobertöne. Es gibt aber noch einen zweiten Band mit ähnlicher Verwandtschaft, diesmal in strahlend Blau: Beide zusammen heißen sie „Salle de fêtes – Sala delle feste“, ein Festsaal für und mit der Objekt gewordenen Farbe, die ganz für sich stehen kann! Monochrome Buchobjekte, Grafiken und Sound-Art der etwa sechzig ausgestellten Künstler – darunter Christian Boltanski, James Lee Bryars, John Cage, Hans-Peter Feldmann, Yves Klein, Imi Knoebel, Bruce Naumann oder Louise Nevelson – gehen den Grenzen der Abstraktion nach oder verbinden, mal ernsthaft, mal witzig, künstlerische und philosophische Fragestellungen.
Dieter Begemann ist Künstler und Kunstwissenschaftler. Er liebt außerdem Architektur, Design, Literatur und Italien!
Monochromie. Zur Ästhetik publizierter Kunst
7.9.2024 – 28.9.2025
Weserburg Museum für moderne Kunst
Teerhof 20
D-28199 Bremen
Tel.: +49-421-598390
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 9 €, erm. 5 €
www.weserburg.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Weserburg Museum für moderne Kunst
Erstveröffentlichung in kunst:art 99