
Wo Licht in all seinen Nuancen fühlbar gemacht wird
Kühles Holz unter den Füßen, sanftes Nordlicht fällt durch große Fenster, und an den Wänden leuchten Bilder wie eingefangene Sommernächte. Willkommen in der Ausstellung „Mittsommer! Stimmungslandschaften des Nordens 1880–1920“ im Museum Kunst der Westküste. Mittsommer im Norden, das ist etwas Besonderes: „Mittsommer spielt in den nordeuropäischen Ländern eine ganz große Rolle. Es ist ein identitätsstiftendes und nationalromantisches Element“, betont Direktorin Ulrike Wolff-Thomsen. Das Thema ist auch prägend in der Malerei gewesen, wie die Auswahl im Museum Kunst der Westküste zeigt.
Zu erleben ist ganz großes Kino, das Naturereignis wird überwältigend vor Augen geführt und kommt dem Naturvorbild ganz nahe. Kunst und Naturschönes gehen hier eine wunderbare Allianz ein. Da sind Frühwerke Edvard Munchs zu sehen. Noch nicht von der bleiernen Schwere der symbolistischen Melancholie gezeichnet, die ihn später berühmt machen wird, eher naturalistische Skizzen. Zu sehen ist auch unbekanntes, nicht weniger überzeugendes Bildmaterial wie ein theatralischer Sonnenuntergang des finnischen Landschaftsmalers Victor Westerholm. Beim Rundgang empfängt den Betrachter samtiges Blau wie in Peder Severin Krøyers „Sommerabend am Skagen-Strand“. Weiß gekleidete Frauen am Ufer, das Meer spiegelt den Himmel, und beide scheinen in eine zeitlose Stille eingetaucht. Das Licht ist nicht einfach nur Abendstimmung – es ist dieses geheimnisvolle Zwischenlicht, in dem Farben sich lösen und die Konturen weich werden.
Weiter geht’s zu Innenräumen und Sonnenflecken. Hier wird es intimer, wie in Anna Anchers Gemälde, in das die Sonne wie goldene Seide fällt. Dieses Licht ist eher still – aber so intensiv, dass es die Farben zum Leuchten bringt. Von der Erhabenheit der Natur künden die Bilder von Akseli Gallen-Kallela: ein Sonnenuntergang über dem Ruovesi-See, der Himmel in flüssigem Gold und glühendem Orange, das Wasser ruhig wie ein Spiegel. Die Bäume stehen schwarz dagegen, wie in Ehrfurcht. Hier geht es nicht nur um Landschaft, sondern um ein mythisches Finnland, um Heimat und Legende. Bruno Liljefors bringt Bewegung ins Spiel: Schwäne fliegen knapp über eine spiegelnde Wasserfläche, das Licht flirrt, man glaubt das Flügelschlagen zu hören. Hier ist Natur nicht nur Kulisse, sondern ein Akteur – lebendig, schnell, unberechenbar. In Helene Schjerfbecks meditativen Bildwelten geht es dagegen um Reduktion und Stille. Ihre Sommerlandschaft zeigt flächige Grüntöne, weiche Konturen. Es ist, als hätte sie alles Überflüssige entfernt, um nur noch das Wesentliche zu lassen: Farbe, Form, Stimmung. Schließlich gibt es noch Arbeiten, die man mit „Weiße Nächte“ charakterisieren könnte. Pastellfarbene Himmel, hell leuchtende Horizonte, Stille, die beim genauen Hinschauen fast hörbar ist. Als würde man spät nachts selbst am Fjord stehen und spüren, wie Zeit und Raum ineinanderfließen. „Mittsommer“ ist kein Kalendertag – es ist ein Zustand von Wahrnehmung und Stimmung, den man nicht vergisst.
Stefan Simon weiß als Kunsthistoriker, dass es auch immer auf die Perspektive ankommt.
Mittsommer! Stimmungslandschaften des Nordens 1880–1920
06.07. – 11.1.2026
Museum Kunst der Westküste
Hauptstr. 1
D-25938 Alkersum / Föhr
Tel.: +49-4681-747400
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 7 €
www.mkdw.de
Text: Stefan Simon
Bild: Museum Kunst der Westküste
Erstveröffentlichung in kunst:art 105
