Der Mensch im Zentrum

22.10.2020 – 21.2.2021 | Lehmbruck Museum

Das Lehmbruck Museum widmet 2020 sein Ausstellungsjahr ganz dem Menschen und lädt zu einer umfassenden Werkschau des renommierten Bildhauers Stephan Balkenhol ein. Durch Mitwirkung des Künstlers kann Neues, bislang Ungezeigtes und eigens hierfür Erschaffenes wie die Installation des „Kopfwaldes“– eine Gruppe Kopfskulpturen unterschiedlicher Größe – ausgestellt werden. Umfangreich ist auch das Werk Balkenhols: von ikonischen Darstellungen des Menschen über Zeichnungen und Gipsmodelle gibt die Ausstellung Einblick in Ideen und Schaffensprozess des Bildhauers. Im Kontrast zu seinem ehemaligen Lehrer Ulrich Rückriem wählt Balkenhol Holz als Material und stellt gezielt die Figur des Menschen in den Mittelpunkt seines Schaffens. Balkenhol selbst formulierte den Anspruch an seine Kunst:

„Ich will alles auf einmal: Sinnlichkeit, Ausdruck, aber nicht zu viel, Lebendigkeit, aber keine oberflächliche Geschwätzigkeit, Momentanität, aber keine Anekdote, Witz, aber keinen Kalauer,
Selbstironie, aber keinen Zynismus. Und in erster Linie eine schöne, stille, viel- und nichtssagende Figur.“ (Stephan Balkenhol, 2004)

Gemäß seinem Anspruch ist auch die Umsetzung alles auf einmal: roh, mit Kreissäge, Messer, Hammer und Meißel arbeitet er unverkennbar plastische Werke heraus. Aus ganzen Baumstämmen am Stück gehauen erschafft Balkenhol seine Figuren und lässt charakterstarke Merkmale wie Splitter, Risse und Wunden im Holz bewusst unbeschönigt und ursprünglich stehen. Hierdurch wohnt jedem Werk eine infinite Individualität inne, obwohl die so entstandenen Figuren meist auffällig unauffällig sind. Die Skulpturen zeigen mehrheitlich den zeitgenössischen Durchschnittsmenschen, der weder Bedeutungsvolles verkörpert, noch durch seine Person oder expressive Gesten und Mimiken auffällt.
Er verweist mit seinen Werken auf die Tradition antiker Darstellung, welche berühmte Personen durch Sockel hervorhob. Balkenhols Fundamente erinnern augenzwinkernd ebenfalls an Sockel, doch seine Statuen bleiben anonym, unkonkret und scheinbar „nichtssagend“. Er zeigt bewusst keine offenen Emotionen. Nur die angedeutete Existenz dieser liegt im Ausdruck seiner Arbeiten, bleibt jedoch ungreifbar, geheimnisvoll und der Interpretation des Betrachters überlassen. Hierdurch wird sein Werk faszinierend lebendig, da es zu einer Art Leinwand für Projektion und Auslegung des Schauenden und damit so facettenreich wie ihr Betrachter selbst wird.

Inhaltlicher Schwerpunkt der Sonderausstellung sind Balkenhols Paraphrasen antiker Werke der Kunstgeschichte wie unter anderem die des Laokoon und verschiedene Varianten der Venus, so Frau Dr. Söke Dinkla, Direktorin des Lehmbruck Museums. Besonders interessant findet sie Balkenhols Paraphrase der berühmten Skulptur des Denkers von Rodin, welchen Wilhelm Lehmbruck bereits zuvor ebenfalls mit seiner Figur des „Sitzenden Jüngling“ paraphrasierte.

So ist die Werkschau Balkenhols ein raffiniertes und spannendes Spiel von Paraphrasen der Kunstgeschichte im Kontext diffuser menschlicher Stimmungen.

 

 

Stephan Balkenhol
22.10.2020 – 21.2.2021
Lehmbruck Museum
Friedrich-Wilhelm-Str. 40
D-47051 Duisburg
Tel.: +49-203-2833294
Di – Fr 12 – 17 Uhr, Sa + So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 9 €, erm. 5 €
www.lehmbruckmuseum.de

 

Text: Johanna Bayram
Bild: Lehmbruck Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 75