Instabile Wirklichkeit

20.9. – 15.11.2020 | Museum Morsbroich

Mit der Pfeife, die keine ist, lehrte uns bereits René Magritte: Bilder sind komplexe Zeichensysteme. Die gemalte Pfeife ist keine Pfeife, sondern das Bild einer Pfeife, ein Inhalt, der nicht mit einem in der Realität existierenden Referenten zu verwechseln ist. Bilder verweisen auf kulturelle Einheiten, durch die sie codiert sind. So kann auch ein imaginäres Bild trotz identischem Lautbild, beispielsweise „Baum“, individuell abweichen, da es auf Erfahrung gründet; während der eine sich darunter einen Laubbaum vorstellt, mag dem anderen eine Fichte vor dem geistigen Auge erscheinen. Ein Baum ist beides. Durch diese Abhängigkeit von einer kulturellen Ordnung vermögen bildliche Zeichen zu vermitteln, wie eine Gesellschaft denkt, wie sie mittels der Zeichen kommuniziert.

Doch diese Zeichen können lügen, findet nicht nur Magritte – es ist ein inhärentes Kriterium der polyvalenten Zeichenfunktion. Und so hinterfragen die Künstler Manuel Graf und Matthias Wollgast nun in ihrer Doppelausstellung im Museum Morsbroich die Bilder, ihre Lesbarkeit, Authentizität und die Möglichkeiten ihrer Manipulation.

Die Zeichnungen, Gemälde, Collagen, Installationen, Publikationen, Filme und Modelle von Matthias Wollgast (* 1981) sind multimediale Spuren eines Films, sie möchten dessen Entstehung dokumentieren und somit seine Existenz belegen. „The Steps with no Name“ könnte seine Premiere im Museum gefeiert haben, der ausgelegte rote Teppich ein Relikt des großen Moments. Und doch offenbart die genaue Betrachtung Gemälde, die den scheinbaren Filmstills zugrunde liegen, und vermeintliche Aufnahmen der Requisiten, die durch kameralose Fotografien, Malerei und Abklebungen entstanden sind. Dokumentation und Illusion könnten auf den ersten Blick konträrer nicht sein, und doch verwebt der Künstler sie zu einem zwischen Wahrheit und Lüge der Zeichen changierenden Gespinst.

Das Schaffen von Manuel Graf (* 1978) wagt einen Schritt in den Bereich jenseits der Illusion: Sein Grad der Simulation steht nicht mehr zwingend in Korrelation mit dem Realen, er ist vielmehr eine „Erzeugung von Modellen des Realen ohne einen Ursprung in der Realität“ (Jean Baudrillard). So zeigen seine Werke, die er teils gemeinsam mit Michel Büchsenmann geschaffen hat, Ausstellungssituationen in den Räumen des Museum Morsbroich, die dort so nie stattgefunden haben. „Extra-faktische“ Erinnerungen würde sie der Protagonist der Kurzgeschichte „Erinnerungen en gros“ von Philip K. Dick nennen. Ebenso hyperreal, wie Baudrillard es einordnen würde, muten Grafs Doppelgänger-Arbeiten an, die einen Bogen schlagen von einem Gegenstand zu seinem virtuellen Pendant, beides zu einem hybriden Gebilde amalgamieren.

Ob Doppelgänger, die zu Grenzgängern zwischen realer und virtueller Welt werden, oder die akribische Dokumentation einer Illusion – gemein ist den Reflexionen dieser beiden Künstler die Forderung an die Betrachtenden nach Interpretation. Digitale wie analoge Bildwelten bedürfen mehr denn je einer Befragung der Zeichen in einer Zeit wachsender Instabilität der Wirklichkeitserfahrung.

 

 

Reale Fiktionen & ebensolche Simulationen
20.9. – 15.11.2020
Museum Morsbroich
Gustav-Heinemann-Str. 80
D-51377 Leverkusen
Tel.: +49-214-4064500
Di – So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 4 €
www.museum-morsbroich.de

Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Museum Morsbroich
Erstveröffentlichung in kunst:art 75

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