In ihrer diesjährigen Sonderausstellung gewährt die Abegg-Stiftung einen Einblick in das Aufgabenfeld einer Textilrestauratorin. Am Beispiel kürzlich restaurierter Textilien aus Zentralasien – alle über 1’000 Jahre alt – werden die vielseitigen Untersuchungen und Arbeiten, die einer öffentlichen Präsentation in der Regel vorausgehen, gezeigt.
Seit die Abegg-Stiftung in Riggisberg vor 50 Jahren eröffnet worden ist, spielt dort die Konservierung und Restaurierung von Textilien eine wichtige Rolle – eine Tätigkeit, die hinter den Kulissen stattfindet. Die Besucher und Besucherinnen sehen in den Ausstellungen normalerweise immer die bereits restaurierten Stücke. Wie weit der Weg vom «unbehandelten» zum «ausstellungsfähigen» Textil sein kann und welche Überraschungen er manchmal bietet, veranschaulicht die neue Sonderausstellung. Sie zeigt, was alles dazugehört, bis ein historisches Kleidungsstück, ein Behang oder ein Paar Schuhe ausgestellt wird.
Umfassende Untersuchungen und Abklärungen
Aber was macht eigentlich eine Textilrestauratorin genau? Stopft sie Mottenlöcher oder setzt sie Flicken ein? Eher nicht! Vielmehr geht es vor allem darum, das Vorhandene behutsam zu sichern und günstige Bedingungen für seine langfristige Erhaltung zu schaffen. Am Anfang jeder Restaurierung stehen ausführliche Material- und Technikanalysen sowie Zustandserfassungen und Schadenskartierungen. Wer sich noch nie mit historischen Textilien beschäftigt hat, kann sich kaum vorstellen, was für erstaunliche Entdeckungen man – oft schon nur durch genaues «Lesen» – an textilen Zeugnissen machen und wie viele Informationen man dadurch über ihre Herstellung, Funktion und Geschichte gewinnen kann. Nicht selten wird regelrechte Grundlagenforschung geleistet, weil bisher noch keine Vergleichsstücke untersucht wurden. Bei so alten Textilien, wie sie in der aktuellen Sonderausstellung zu sehen sind, liegt dies meist daran, dass sich schlicht keine ähnlichen Objekte erhalten haben. Wichtige Hinweise liefern naturwissenschaftliche Untersuchungs-methoden, für die externe Fachleute aus dem In- und Ausland beigezogen werden. Erst danach erprobt die Textilrestauratorin geeignete Behandlungsmethoden und erstellt ein Konservierungskonzept.
Filmischer Einblick
In der Ausstellung geben Kurzvideos interessante Einblicke in die praktischen Arbeiten, die an den ausgestellten Textilien ausgeführt wurden. So kann man nachverfolgen, wie ein dicht besticktes Gewand mit einer winzigen Staubsaugerdüse und einem Pinsel von Schmutz befreit wird. Oder wie die geschickten Finger einer Restauratorin mit Chirurgennadel und feinstem Seidenfaden ein Originalgewebe auf einem Unterlagsstoff sichern. Zudem zeigen die Filme eindrückliche Vorher/Nachher-Sequenzen oder Bilder der massgefertigten Stützkonstruktionen, auf denen die Gewänder liegen, und sie erläutern Erkenntnisse, die während der Untersuchung und Behandlung der Textilien gemacht wurden.
Zwei Behänge: Grossformatig und grossartig
Blickfang der Ausstellung sind zwei guterhaltene, grossformatige Behänge aus Zentralasien, die in das 8. bis 9. Jahrhundert datiert werden. Sie zeigen einander gegenüberstehende Hirsche in einem Medaillon. Es handelt sich um einen damals verbreiteten Mustertypus. Hier ist er jedoch ins Monumentale vergrössert: Die Medaillons erstrecken sich jeweils über die ganze Webbreite, die beim einen Behang mindestens 173 cm, beim anderen über 157 cm beträgt. Wahrlich eine webtechnische Meisterleistung! In den kleinen Bildfeldern, welche die Medaillonrahmen für die Hirsche formen, gibt es zudem zahlreiche kleinere, liebevoll wiedergegebene Tiere und Pflanzenmotive zu entdecken. Die Behänge stammen aus einem archäologischen Kontext und waren dementsprechend verschmutzt. Während der Suche nach der geeigneten Reinigungsmethode konnte ein bisher unbekanntes Färbeverfahren entdeckt werden: Ausgerechnet der Blaufarbstoff Indigo, der eine ausserordentlich stabile Verbindung mit Textilfasern einzugehen vermag, war so verarbeitet worden, dass die dunkelblauen Fäden heute fragil und sehr wasserempfindlich sind. Als Reinigungsmethode kam nur noch Mikrostaubsaugen in Frage, das sich allerdings als sehr effizient erwies.
Raffiniertes Schuhwerk
Auch Schuhe können zum Arbeitsfeld einer Textilrestauratorin gehören. In der Ausstellung sind vier aus Pflanzenfasern und Seide geflochtene Beispiele zu sehen. Sie entstanden wohl im Östlichen Zentralasien und werden in das 5. bis 6. Jahrhundert datiert. Bei ihnen stand die Erforschung der Herstellungstechnik im Vordergrund. Zwar wusste man, dass die fein gemusterten, flachen Schuhe mittels einer komplizierten Flechttechnik entstanden sein mussten, doch wie diese genau funktioniert, war noch nicht geklärt. Und so kam nach einer detaillierten textiltechnologischen Untersuchung auch die experimentelle Archäologie zum Zuge, das heisst, die Schuhe wurden möglichst originalgetreu nachgeflochten. Mit diesen praktisch durchgeführten Versuchen konnte gezeigt werden, dass die Schuhe in einem Stück gearbeitet sind. Das Herstellungsverfahren ist also so raffiniert, dass es ohne Nähte auskommt und Form und Musterung in einem Arbeitsgang entstehen konnten.
Glimmer-Glanz
In der Ausstellung sind mehrere Gewänder zu sehen. Darunter ein aus China stammendes, zunächst unauffälliges Kleidungsstück, das jedoch aus der Nähe zum Staunen Anlass gibt: Es ist über und über mit Stickerei bedeckt. Dargestellt sind Szenen, die um die Thematik des Jenseits und der Unsterblichkeit kreisen, aber auch Rosetten und Tiere. Und wer ganz genau hinschaut, entdeckt darüber hinaus winzig kleine, glitzernde Lichtpunkte. Es handelt sich um Glimmerplättchen, die zwischen zwei transparenten Gewebeschichten eingestreut wurden. Makroaufnahmen der Glimmereinlagen und der Stickerei sind in einem der Kurzfilme zu sehen. Diese Bilder ermöglichen dem Museumspublikum einen faszinierenden, intimen Einblick in die Struktur eines Textils, der sich sonst nur durch das Mikroskop eröffnen würde. Bisher ist kein zweites Textil mit einem solchen Steinschmuck bekannt. Zur Zeit seiner Entstehung im 5. bis 6. Jahrhundert dürfte das Gewand bei jeder Bewegung leuchtend gefunkelt haben. Offensichtlich lag den Menschen schon vor Jahrhunderten daran, mit ihrer Kleidung aufzufallen, ihren Status auszudrücken – und ihrem Auftritt etwas Glamouröses zu verleihen.
Aufwendige Lagerung und Präsentation
Für die langfristige Erhaltung der seltenen Textilien sind nicht nur stabile klimatische Verhältnisse sowie Staub- und Lichtschutz unabdingbar, vielmehr muss auch eine geeignete Lagerungs- bzw. Präsentationsform gefunden werden. Zu den Aufgaben einer Textilrestauratorin gehören daher auch das Überprüfen der Umgebungsbedingungen sowie das Erarbeiten und Herstellen von Montagen und Stützkonstruktionen. Bei Gewändern stellt sich immer die Frage, ob sie auf einem massgefertigten «Kleiderständer» montiert werden können, oder ob sie doch besser liegend gezeigt werden sollen. Ein aus konservatorischer Sicht optimaler Kostümständer muss genau der Form des Gewandes entsprechen und so präzise passen, dass der Stoff überall aufliegt bzw. gestützt, aber nicht gespannt wird. Seine Herstellung ist deshalb in der Regel zeitaufwendig.
Das Textilkonservierungsatelier der Abegg-Stiftung
Die Abegg-Stiftung ist ein weltweit bekanntes Kompetenzzentrum für historische Textilien. Seit 1967 erforscht und restauriert sie textile Schätze. Die Ausstellungen des Museums zeigen neben Textilien der eigenen Sammlung auch Werke anderer Gattungen der angewandten Kunst. Gegründet wurde das Institut von Werner und Margaret Abegg, einem schweizerisch-amerikanischen Paar, das damit nicht nur seiner umfangreichen Sammlung die Zukunft sichern, sondern auch einen Beitrag zur Erhaltung und Erforschung wertvoller Gewebe aus vergangenen Zeiten leisten wollte. Als erfahrene Sammler wussten Werner und Margaret Abegg um die Fragilität dieser Stoffe. Darum richteten sie in ihrer Stiftung von Anfang an ein spezialisiertes Atelier für die Konservierung und Restaurierung von Textilien ein, was damals eine Pionierleistung war. Das Atelier betreut nicht nur die eigenen Bestände, sondern kann bisweilen auch die Konservierung und Restaurierung von Objekten aus anderen Institutionen übernehmen. Bedeutende Textilien wurden der Abegg-Stiftung von Museen und Kirchen aus aller Welt schon anvertraut, zuletzt ein einzigartiges gesticktes Altarbild aus dem Art Institute of Chicago und wertvolle Reliquienstoffe aus dem Schrein des hl. Godehard in Hildesheim. Und nicht zuletzt hat sich die Abegg-Stiftung einen Namen als Ausbildungsstätte für Textilkonservatoren/ -restauratoren gemacht. Im Atelier stehen zurzeit sechs Studienplätze für eine entsprechende Fachhochschul-ausbildung zur Verfügung. Für die Zukunft des Fachs ist also gesorgt.
Text: Abegg-Stiftung | Foto: Abegg-Stiftung
Externer Link: Abegg-Stiftung
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