von Christian Corvin //
Normalerweise ist die Verwendung eines fremden Bildes um ein neues Bild zu schaffen geistiger Diebstahl. Dank der Konzeptkunst gibt es für diese Regel aber auch Ausnahmen. Wenn man bewusst kopiert, zitiert oder verwendet, dann kann es auch eine künstlerische Strategie sein. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob man das Werk eines anderen Künstlers verwendet, Werbefotografie nimmt oder irgendwelche zufälligen Bilder weiterverarbeitet. Künstler wie Cindy Sherman, Sherrie Levine, Jack Goldstein und Robert Longo sind einige Beispiele für Künstler der sogenannten Appropriation Art.
Anne Collier (*1970) ist eine weitere Künstlerin, die Material anderer verarbeitet. Dabei verwendet sie aber keine Kunstwerke, sondern beispielsweise Poster, Plattencover, Fotozeitschriften, Buchseiten und Filmstills, die sie abfotografiert. Gemein ist den Bildern, dass sie einen emotional ansprechen sollen und in der Regel Augen, Wolken, Wellen sowie unverblümtem und romantisiertem Sexismus zeigen. Diese gefundenen Bilder sind aber nicht aktuell, sondern meist aus den 1970er und 1980er Jahren, womit sie auch die Stimmung jener Zeit transportieren.
Damit, dass Anne Collier Fotografien abfotografiert, ist der Akt des Fotografierens zentral für sie. Durch das indirekte – das Motiv steht nicht in natura vor der Künstlerin, sondern stand mitunter vor Jahrzehnten vor einem anderen Fotografen – liegt eine riesige Distanz zwischen Collier und dem ursprünglichen Motiv. Das Fotografieren wird zu einem nüchternen, fast schon technischen Akt, Emotionen geraten in den Hintergrund. Anne Collier vermeidet es so auch, ihre eigenen Emotionen hinein zu geben. Der Rezipient ist auf sich gestellt, von der Künstlerin wird keine Richtung vorgegeben, es sei denn durch die Bildauswahl.
Die Künstlerin wurde in Los Angeles geboren, machte ihren BFA am California Institute of the Arts und ihren MFA an der University of California, Los Angeles (2001). Inzwischen lebt und arbeitet sie in New York und hat zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen gemacht. Ihre Werke sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, darunter im Guggenheim New York, Tate Modern in London und dem Whitney Museum of American Art, ebenfalls in New York. In Deutschland wurde Collier schon gezeigt, so zum Beispiel 2008 im Bonner Kunstverein. Die Ausstellung im Sprengel Museum Hannover ist aber ihre erste museale Einzelausstellung in Deutschland. Im Frühjahr 2019 wandert die Ausstellung in das Fotomuseum Winterthur in der Schweiz.
So anerkannt die Appropriation Art inzwischen doch ist, so kommt doch immer wieder auch die Frage nach dem Urheber und auch nach dem Urheberrecht auf. Das mag in Fällen wie Anne Collier noch etwas weniger problematisch sein. Es wird aber umso kritischer, je näher das Ergebnis am Vorbild ist und desto kreativer der Akt des Vorbilds war. Wenn also ein Kunstwerk kopiert wird und die Verfremdung nur minimal ist, dann wird es natürlich kniffeliger bei der rechtlichen Bewertung. Das gilt bei Collier zum Beispiel dann, wenn sie Plattencover verwendet.
Anne Collier. Photographic
19.9.2018 – 6.1.2019
Sprengel-Museum Hannover
Kurt-Schwitters-Platz
D-30169 Hannover
Tel.: +49-511-16843875
Di 10 – 20 Uhr, Mi – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 4 €
www.sprengel-museum.de
Erstveröffentlichung in kunst:art 63
Text: Christian Corvin | Bild: Sprengel-Museum Hannover