Kein perfektes Timing

24.3. – 29.9.2019 | Kunstmuseum Wolfsburg

Gilbert & George, Roads, 1991 (© Gilbert & George, Foto Helge Mundt)

„Now is the time“ – Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Befindet zumindest das Kunstmuseum Wolfsburg im Hinblick auf seine neue Schau, in der 25 Jahre Sammlungsgeschichte aufgerollt werden. Die Ausstellung bildet den Auftakt zu den Jubiläumsfeierlichkeiten des Hauses, das 1994 in einem spektakulären Industriebau im Herzen Wolfsburgs eröffnete. Doch das Image des Museums hat durch die kürzlich und plötzlich erfolgte Kündigung des Direktors Ralf Beil einen gewaltigen Schaden genommen. Im Vorfeld war der renommierte Kunsthistoriker durch die inhaltliche Ausrichtung seines Ausstellungsprogramms mit den politischen Interessen der Kunststiftung Volkswagen kollidiert, die als Träger des Museums fungiert. Dabei gilt die Institution eigentlich als progressive Ausstellungsplattform für zeitgenössische Positionen und die Sammlung als eine der besten im Bereich der Gegenwartskunst.

Für die im März angesetzte Überblickschau zum mittlerweile 600 Werke umfassenden Bestand zeichnet nun der schon seit den Anfängen für die Sammlung zuständige Kustos Holger Broeker verantwortlich. In „Now is the time“ verdeutlicht er mit einer Gegenüberstellung von frühen und späteren Erwerbungen – zum Beispiel von postmodernen und postkolonialen Positionen – auch die diskursive Dynamik, die sich aus dem Prozess des Sammelns ergibt. Und verweist gleichzeitig auf die Ausweitung, die die Globalisierung des Kunstmarktes mit sich bringt. Da wird zum Beispiel ein künstlerischer Kommentar Jörg Immendorffs zur deutschen Einheit (von 1990) mit einem installativen Statement von Firelei Báez zur europäischen Fremdherrschaft in der Dominikanischen Republik (von 2018) konfrontiert. Oder es finden sich Skulpturen von Carl Andre (aus den 70ern) und Thomas Schütte (aus den 90ern) von Maskenporträts umrahmt, in denen die indische Konzeptkünstlerin Gauri Gill seit 2015 unterschiedliche Gemütszustände ihrer Landsleute mit der Kamera festhält. Überhaupt und übergeordnet wird in Wolfsburg viel im Bereich Fotografie, Video und Installation gesammelt, und zwar nicht breit, sondern in Konzentration auf einzelne, bedeutende Künstlerinnen und Künstler, die dann mit gleich mehreren Arbeiten vertreten sind.

Einige dieser Werke werden in den pünktlich zum Jubiläum renovierten Ausstellungsräumen auch thematisch zusammengeführt. Da gibt es einen Parcours zum Thema Zeit mit Arbeiten von Douglas Gordon, Jeff Wall und Christian Boltanski aus den 90er Jahren. Oder eine Ansammlung von realen, umgewidmeten oder dargestellten Interieurs – unter anderem von Richard Artschwager, Richard Billingham, John M. Armleder und Pia Linz. Und während sich Prajakta Potnis, Franz Ackermann oder Sarah Morris mit Aspekten der Urbanität auseinandersetzen, machen sich Sharon Lockhart, Jan de Cock, Sandra Gamarra und Christian Jankowski Gedanken zum Phänomen „Museum“.

Bleibt zu hoffen, dass dem neuen Direktor Andreas Beitin, der im April in Wolfsburg antritt, in dem im Grunde großartig aufgestellten Haus wieder alle kuratorischen Freiheiten gewährt werden.

 

Now is the time. 25 Jahre Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg
24.3. – 29.9.2019
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
D-38440 Wolfsburg
Tel.: +49-5361-26690
Eintritt: 10 €, erm. 8 €
www.kunstmuseum-wolfsburg.de

 

Text: Julia Behrens
Bild: Kunstmuseum Wolfsburg
Erstveröffentlichung in kunst:art 66