2014 besuchte Karin Kneffel mit ihren Studenten der Bremer Akademie der Künste eine Gerhard-Richter-Ausstellung in Basel. Die einstige Meisterschülerin Richters betrachtete dabei weniger die Gemälde ihres Lehrers, sondern beobachtete die Reaktion ihrer Schülerinnen und Schüler. Plötzlich versammelten sich alle vor Richters berühmtem Bild „Betty“, dessen Protagonistin den Kopf nach hinten dreht. Dies war in den folgenden Jahren Auslöser für eine eigene Bildserie, die prototypisch ist für Kneffels komplexe Werkreihen, in denen sie mehrere Wirklichkeitsebenen miteinander in Beziehung setzt und dabei auf die Kunstgeschichte Bezug nimmt. Die Studenten vor dem Gemälde sind ebenfalls nur von hinten zu sehen, in verschiedenen Posen. Kneffel zeigt sie noch dazu durch Glas, in dem sich mal Bäume und Blätter spiegeln; mal wirkt es verwischt, als spiele sie auf die Unschärfe in Richters Bildern an; mal grinst uns auf dem Glas ein Smiley an.
Die Künstlerin mag das traurige Bild Richters, die Farbigkeit und das Muster des Bademantels, den abgewandten Blick. „Die Serie ist mein Kommentar dazu. Wenn man als Künstler ein Bild sieht, das einem gefällt, ist man erst einmal angezogen und gleichzeitig verunsichert davon. Dann entzaubert man sich das Werk und schaut sich an, wie es gemacht wurde. Danach kann man dem Bild wieder etwas zurückgeben“.
Bekannt wurde die mit links malende Künstlerin in den neunziger Jahren mit ihren präzisen Tierporträts im kleinen Format, in denen ein Hahnenkopf dieselbe Größe wie das Haupt einer Kuh hat, sowie mit ihren ästhetischen großformatigen Fruchtbildern – wahre Sinfonien aus Pfirsichen, Äpfeln oder Trauben. Damals provozierten diese Sujets an der Düsseldorfer Akademie, sie galten als zu dekorativ und waren gerade deshalb für Kneffel von Interesse, die ein Bild als Bild erforschen wollte und sich von Motivverboten erst recht herausgefordert fühlte.
Nach der Jahrtausendwende wurden ihre Arbeiten mehrschichtiger und detailreicher. Für eine Ausstellung in den von Mies van der Rohe entworfenen Gebäuden Haus Lange und Haus Esters in Krefeld befasste sich die Künstlerin intensiv mit deren Geschichte. Sie besorgte sich schwarzweiße Fotografien des ursprünglichen Zustands, als expressionistische Gemälde an den Wänden hingen, und schuf eine Reihe von Bildern, in denen sie dem ursprünglichen Interieur ihre eigenen intensiven Farben verlieh – immer wieder durchbrochen durch Glaswände, an denen auch mal Tropfen herunterlaufen.
Fasziniert von der Architektur, wandte sich Karin Kneffel auch dem Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum zu, auf das sie ähnlich mehrfach gebrochene Blicke warf. Dabei sind ihre meisterlich gemalten Bilder zugleich ein humorvoll-souveräner Kommentar zu Geschlechterverhältnissen und Stildiskussionen. In „Große Sinnende“ von 2018 stellte sie Lehmbrucks weibliche Akte realistisch in den Vordergrund, während die Glasfassade dahinter von Putzmännern mit großer wischender Geste gereinigt wird, als wollten sie eine Lanze für informelle Kunst brechen.
Karin Kneffel
12.10.2019 – 8.3.2020
Museum Frieder Burda
Lichtentaler Allee 8 b
D-76530 Baden-Baden
Tel.: +49-7221-398980
Di – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 14 €, erm. 11 €
www.museum-frieder-burda.de
Text: Sabine Scheltwort
Bild: Museum Frieder Burda
Erstveröffentlichung in kunst:art 69