Ein neuer Fuchs im Bau…

und Tacita Dean erstmals mit großer Werkschau in Luxemburg

Ansicht auf den Haupteingang des MUDAM, Luxemburg |© Photo: Denise Susnja.

Genauer gesagt handelt es sich um eine Füchsin – die gebürtige Niedersächsin Bettina Steinbrügge – und bei dem Bau vielmehr um eine herausragende und doch knifflige, architektonische Meisterleistung des 2019 verstorbenen chinesisch-amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei, nämlich das MUDAM.

Bettina Steinbrügge, die mit ihrer roten Mähne, der gewandten Erscheinung und dem wachen Blick sehr an das Fabelwesen dergestalt eines Fuchses erinnert, denkt viel über die Architektur ihrer neuen Wirkungsstätte und die Gebäudestruktur nach. Der Bau erstreckt sich über drei Etagen, verfügt über zwei Flügel, lichtdurchflutete Hallen und Seitenschiffe sowie einen über eine gläserne Brücke zu erreichenden Pavillion und war anfänglich etwas anders konzipiert. Städtische Plänkeleien, wenn man so will, haben dazu geführt, dass das Museum nun abgewandelt in Erscheinung tritt als ursprünglich in den Plänen, welche den Ausstellungsräumen der Washingtoner Nationalgalerie nachempfunden sind, angedacht. Der heutige Haupteingang sollte als Lieferanteneingang dienen und so wirkt das Haus tatsächlich zunächst sehr brachial, gar ein wenig abweisend, da es zudem mit Teilen der alten Festungs- und Wehranlage verknüpft ist. Das Innere jedoch überrascht, fesselt und hat schier mannigfaltiges Potential.

Steinbrügge möchte den Grundgedanken von Pei, das Innen und Außen, Architektur und umlaufenden Park mehr miteinander interagieren zu lassen, direkt in Angriff nehmen. Für die Ausstellungen, die sie ab 2023 plant, sollen die “Ebenen der Architektur anderes aufgebrochen werden, so dass natürlichere Laufrichtungen” entstehen.

Blick in die Ausstellung Isamu Noguchi / Danh Vo a cloud and flowers im Henry J. and Erna D. Leir Pavilion|© Photo: Denise Susnja.

Schläue und Raffinesse gepaart mit spitzfindigem Witz beweist sie im Gespräch, in welchem sie von Ihren Visionen erzählt und stets hat man den Eindruck, dass eine nicht enden wollende Maschinerie der Ideen und Konzepte in ihr brodeln. Genug der Fabelwesen-Analogie – zur Sache: Erst seit dem 1. April ist sie als Generaldirektorin ans MUDAM berufen worden und tritt dabei in “große, aber nicht angsteinflößende Fußstapfen”. Als der Anruf vom Headhunter kam, hat sie Freudensprünge gemacht und dafür die Leitung des Hamburger Kunstvereins, welche sie seit 2014 innehatte, aufgegeben. Auch ihre Lehrtätigkeit hat sie jetzt an den Nagel gehängt. Während sie in diesem Moment erzählt, steht sie im mittleren Teil des Gebäudes auf einer Empore mit Blick durch die riesige Grand Hall, in der gerade drei Werken von Monika Sosnowska (1972, Ryki, Polen), die das MUDAM kürzlich erworben hat, zu sehen sind und deren Blickachse mit seiner phänomenalen Aussicht auch das alte Fort Thüngen tangiert. Es wird ganz still. Bettina Steinbrügge ganz andächtig und bedächtig zugleich, als ihr klar wird, dass sie erstmals in ihrem Leben nur eine Sache macht.

Dabei geht sie “nie mit einem Programm im Kopf an eine Sache heran, sondern immer von der Kunst aus” und ein bisschen Etat für Ankäufe sei auch vorhanden, gibt sie schmunzelnd zu. Daher darf man gespannt – und auch ein wenig aufgeregt – sein, was diese Frau, die nun so völlig fokussiert an diesem Haus mit seiner großartigen Sammlung an zeitgenössischer Kunst in den nächsten Jahren erarbeitet.

“It`s all about the process!”(Tacita Dean)

Tacita Dean, Buon Fresco, 2014 (film still), Courtesy the artist, Frith Street Gallery, London and Marian Goodman Gallery, New York/Paris.

Die erste große Solo-Schau in Luxemburg der 1965 in Canterbury geborenen und heute in L.A. lebenden Künstlerin Tacita Dean ist natürlich noch das Resultat einer kuratorischen Strategie, die unlängst zuvor durch das Team um Suzanne Cotter und Christophe Gallois, assistiert von Clémentine Probyd, erarbeitet wurde in den heutigen Tagen zu sehen ist.

Die Einzelausstellung von Dean, die für ihren Umgang mit verschiedenen Medien und deren artifizieller Erkundung bekannt ist, gliedert sich in zwei Teile: In der Ostgalerie des MUDAM werden jene Werke gezeigt, welche die Künstlerin im Zuge eines Bühnenbildes für das Ballett The Dante Project – quasi als Auftragsarbeit – entworfen hat. Das von Wayne McGregor choreographierte und von Thomas Adès komponierte Ballet wurde 2021 in London uraufgeführt und wird vom 29. April bis zum 31. Mai 2023 im Palais Garnier in Paris zu sehen sein. Anlass für Ballett und somit auch für das Szenenbild ist die literarische Vorlage von Dante Alighieri La divina commedia. Dean orientiert sich an den drei Jenseitsreichen der Göttlichen Komödie: Die Toten durchlaufen Hölle, Fegefeuer und Paradies.

Tacita Dean, Inferno, 2019 | Courtesy Emanuel Hoffmann Foundation | Dauerleihgabe an die Öffentliche Kunstsammlung Basel | © Photo: Denise Susnja.

Die drei Stationen der Unterwelt werden mit diversen Techniken wie Zeichnung, Fotografie und Film umgesetzt, wobei stets das Prozessuale, das händische Moment und das, was das Wesen des jeweiligen Mediums darstellt,  Anker- und Ausgangspunkte ihrer Werke bleiben. Über die medialen Vermischungen hinaus gibt es Schwellenbereiche, wie jenen von der Farbwelt in eine schwarz-weiße Dimension oder  konkrete Darstellung, die zu abstrahierenden Formengebilden werden. Die Zustände – besser noch die Zwischenzustände – sind es, an welchen sich Dean abarbeitet und denen stets ihr Interesse gilt.

Prozesse und Verfahren, das was dem einzelnen Medium inhärent ist, nutzt Dean und spielt so mit dem Empfinden von  Wirklichkeitswahrnehmung, -aneignung und -gestaltung. Bei Inferno (2019), einer beeindruckenden monumentalen Zeichnung auf Schiefer, kommt man nicht umhin das Verfahrenstechnische zu spüren, als würde man dem Erscheinungs- und Entstehungsprozess beiwohnen. Auch der mit einem Makroobjektiv aufgenommen Film über Giottos Fresken in Assisi beeindruckt mit seiner haarscharfen Spürbarkeit von der Entstehung der uralten Wandmalerei (um 1320). Das Erschaffen von Kunst mitsamt der Modi und all seinen schematischen Facetten bleibt der Kern ihres Œuvres.

Tacita Dean, Purgatory (Threshold), 2020 | Emanuel Hoffmann Foundation| Dauerleihgabe an die Öffentliche Kunstsammlung Basel | © Photo: Stephen White & Co.

Als würde man der Enrwicklung eines Polaroids beiwohnen, spürt man die Umkehrung und das Spiel mit dem jeweiligen Medium und seinen verfahrenstechnischen Möglichkeiten und Eigenarten auch bei Purgatory (Threshold) von 2020, im Grunde einem Positiv, das ein Negativ zeigt, aber per se kein Negativ ist. Dean versuchte in Form eines Negativs zu zeichnen – und spielt so mit den prozessualen Schritten einer klassischen Fotoentwicklung und der Umkehrung von Helligkeiten und Farben. Tatsächlich handelt es sich um analoge großformatige Fotografie, die sie händisch mit weißer Kreide übermalte und so das Betrachterauge ad absurdum führt und das vermeintliche Wissen um das Medium hinterfragt.

Im zweiten Teil der Ausstellung geht es um Tacita Deans 16 mm-Film One Hundred and Fifty Years of Painting (2021), der in der Westgalerie in einem eigens entworfenen Pavillon gezeigt wird. Man wohnt einer beinahe einstündigen Konversation von Luchita Hurtado (1920, Caracas – 2020, Santa Monica) und Julie Mehretu (1970, Addis Abeba) bei, bei welcher es um Themen wie das Künstlerinnendasein, Mutterschaft, Migration und natürlich die  Malerei geht. Beide Frauen, deren Geburtstagstage auf den 28. November fällt  – und addierte man ihre Lebensjahre im Jahr  2020 den 150ten Geburtstag gefeiert hätten –  verbindet eine starke Freundschaft zu Dean, deren filmische Darstellung eine sehr emphatisch, wunderschöne und ungekünstelte  Hommage an beiden Frauen und das Leben ist.

Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean
3, Park Dräi Eechelen
L-1499 Luxembourg-Kirchberg
T. +352 453785–1
info@mudam.com
https://www.mudam.com/de/


Tacita Dean
09.07.2022 — 05.02.2023
https://www.mudam.com/de/ausstellungen/tacita-dean

Vielen Dank an Ute Weingarten, die den Besuch des MUDAM und das Gespräch mit Frau Steinbrügge im Zuge einer Pressereise am 6. und 7. Juli 2022 durch ARTPRESS – Ute Weingarten ermöglicht hat.
https://www.artpress-uteweingarten.de/

 

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