Newcomer: Konschthal Esch

Ein neuer Raum für Partizipation und Kontemplation in Luxemburg

Jeppe Hein, Modified Social Bench #14, 2012, Aluminium thermolaqué, 137 x 202 x 44 cm l |© 2022 Art contemporain.lu asbl; Photo: Lukas Rot.

Vor der Tür ein Jeppe Hein, innen auch. Vor der gläsernen Hauptfront der Konschthal Esch steht eine Social Bench – eine modifizierte Sitzbank ihrer Funktion beraubt, denn Sitzen lässt sich darauf nicht, Liegen vielmehr Biegen schon.

Heins Arbeit ist Teil des Skulpturenwegs, der unter dem Namen Nothing Is Permanent in Esch-sur-Alzette, mit 23 Objekten von namhaften Künstlern wie Michel Majerus, Tony Cragg, Vera Kox oder Tina Gillen.

Und so kommt man schon mit einem Lächeln in das Untergeschoss des 4 Ebenen umfassenden Gebäudes, das als nur eines im Zuge der Honorierung Eschs als Kulturhauptstadt Europas 2022 von der Stadt erworben wurde. Die Konschthal, an einem strategisch guten Punkt zwischen den Vierteln “Brill” und “Grenz” und nur einen Hutwurf von der französischen Grenze entfernt gelegen, vereint soziokulturelles wie industrielles Erbe und bildet eine hervorragende Basis für einen zeitgemäßen Austausch zwischen Kunst und Historie.

Detailansicht der Installation Distance von Jeppe Hein im Erdgeschoss der Konschthal |© Photo: Denise Susnja.

Wie Alice in der Lotto-Ziehungsmaschine

Tritt man ein in den verhältnismäßig schmalen, hohen Bau, der durch Sichtbeton und offene Treppen wenig mit einem klassischen White Cube gemein hat, steht man gleich mittendrin im zweiten Werk, das Jeppe Hein inszeniert und der sich in gewohnter Manier der Schnittstellen von Kunst, Architektur und Technik bedient, um seine Arbeit Distance zu präsentieren. Dabei wird das Werk keineswegs nur gezeigt, sondern ist – ganz im Gegenteil – an die ortsspezifischen Merkmale und architektonischen Gegebenheiten der Konschthal gebunden, die einst ein Möbelhaus beherbergte und von besonders partizipativem Charisma ist. Die interaktive Installation appelliert an den ‘Homo ludens’ und wurde eigens für diese Ausstellung um vielerlei Elemente erweitert, um eine gelungene Korrelation zwischen Kunst und Architektur zu ermöglichen.

Die sehr physische und zugleich spielerische Arbeit lässt sich nur schwerlich via Foto oder Video dokumentieren und setzt vielmehr auf das erfahrbare und spielerische Moment, indem nach Betreten der Eingangstür linkerhand sensorisch eine weiße Kugel ins Rollen gebracht wird, die sich über rund 800 Meter durch Kurven und Loopings sowie mittels Hebevorrichtungen durch sämtliche Ecken und über zwei Ebenen bewegt und so auch die erste Etage bespielt. Alle 15 Sekunden können sich durch weitere Besucher*innen sodann neue Kugeln auslösen, die es erschweren der ursprünglichen vermeintlich eigenen Kugel auf ihrer dynamischen Reise über die metallischen Schienen zu folgen.

Kaum jemand scheint besser geeignet, die neuen Ausstellungsmöglichkeiten zu bespielen, welche die Stadt mit der Konschthal nun zu bieten hat, als Jeppe Hein, dem stets Blicke und Erfahrungen der Betrachter*innen auf eben den Raum und dessen Möglichkeiten und Strukturen zu fokussieren ein Anliegen ist, das er mit besonderer Leichtigkeit und ohne elitäre Hürden meistert.

Vordergrund: Muller Van Severen, ALLTUBES Bench, 2020 | © Photo: Denise Susnja.

Symbiose aus Lokalpatriotismus und Designbotschaft

In der kompletten zweiten oberen Etage der Konschthal präsentiert sich die thematische Ausstellung metalworks – designing & making, die von Georges Zigrand und Charlotte Masse kuratiert wurde. Sie ist als Reflexion auf die Stadtgeschichte, als Designbotschaft und Materialkunde zu verstehen, denn Esch-sur-Alzette ist ehemalige Industriestadt und war zentraler Lieferant von Eisenerz und der luxemburgische Vorreiter in der Stahl- und Schwerindustrie. Daher war das Konzept der Ausstellung eine nahezu logische Schlussfolgerung: Man verband den alten Design-Showroom, der es einst in der Funktion des Möbelhauses ja gewesen war und die Geschichte der Stadt mit seiner Metallindustrie. Die Verbindung schien simpel, doch wollte das Kuratorenteam vermeiden schlicht eine Aneinanderreihung an möglichen Entwürfen zu zeigen; der Clou bestand vielmehr darin, das klassische Design à la Alessi & Co zu hinterfragen und die Idee von Design aufzusplittern. Die Befragung verschiedener Technologien und deren Möglichkeiten in der Metallproduktion anhand von funktionalen Objekten, die nicht rein künstlerisch zur Schau gestellt werden, ist daher in den Fokus gerückt und macht so den Lerneffekt und den pädagogische Mehrwert, den diese Schau zu bieten hat, zu etwas Besonderem.

Max Lamb, Metalware Armchair Copper, 2015 |© Photo: Denise Susnja.

Die Objekte stehen bis auf wenige Ausnahmen allesamt auf dem Boden, dessen Weite des hellgrauen Estrichs durch anthrazitfarbene Blöcke unterbrochen werden. Wie ein chronologischer Zebrastreifen können die Besucher*innen auf ihnen die einzelnen Etappen der Material- und Metallherstellung sowie in unmittelbarer Umgebung des Schaustücks auch den Künstlernamen, das Entstehungsjahr sowie detaillierte Materialangaben ablesen. Die Wände – in diesem außergewöhnlichen Raum ohnehin aus Wellblech – bleiben gänzlich frei. Bodenständig offenbaren sich so die 40 Objekte, die allesamt eine Funktion haben oder versuchen einer Illusion von Funktion nachzueifern.

Allen gemein ist jedoch ein überaus intrinsisches Moment: Alle Objekte – meist sind es Sitzmöbel – zeigen anhand ihrer Form, wie sie entstanden sind und eröffnen so ein reiches Vokabular einer eigener formalen Designsprache.

Die Gruppierungen der Techniken, die sich erklärend und begleitend auch auf den Bodenstreifen ablesen lassen, reichen dabei von groben bisweilen rustikalen Macharten wie Schmieden und Gießen bis hin zu filigranem Arbeiten mit Stahldraht oder additiven Druckerzeugnissen, deren Technik noch in den Kinderschuhen steckt.

Tom Dixon, Paylon Chair, 1991 (links vorne) und Linde Freya Tangelder, Cross Vault, 2018 |© Photo: Denise Susnja.


Direktor und künstlerischer Leiter Christian Mosar strotzt vor Energie und Engagement für die Stadt und für die Sache: Kunst scheint er nicht nur zu erleben, sondern zu leben. Seine Projekte – und er betreut eingige, denn er ist auch der neue künstlerische Direktor des Bridderhaus und des Espace Lavandier – sind eine Symbiose aus Fachwissen im Feld der Zeitgenössischen Kunstströmungen, Networking, der Liebe zu Luxembourg und der Eigenschaft über den Tellerrand hinauszudenken. Mit dieser Einstellung und Hingabe macht er die Konschthal Esch mit Sicherheit binnen kürzester Zeit zu einer festen Anlaufstelle für Kunstinteressierte, die auch aus Deutschland, Belgien und Frankreich anreisen dürften.

Konschthal Esch
29-33 Bd Prince Henri
4280 Esch-sur-Alzette, Luxemburg
info@konschthal.lu
https://www.konschthal.lu/
Freier Eintritt ohne Reservierung