Von Wien nach Berlin: Die Ausstellung zu Tilla Durieux folgt chronologisch und geografisch dem Lebensweg der Schauspielerin. Und sie lässt den Besucher das knappe Jahrhundert erleben, das die Lebensspanne der 1880 geborenen und 1971 verstorbenen Schauspielerin ausmacht. Seit ihrem künstlerischen Höhepunkt im Film und auf der Theaterbühne in den 1920er-Jahren hat es allerdings lange gebraucht, bis sich endlich eine Ausstellung mit Durieux befasste. Dann waren es aber auch gleich zwei – das Leopold Museum in Wien machte den Anfang, nun zieht die Schau ins Georg Kolbe Museum nach Berlin weiter.
Als Schauspielerin war sie spektakulär, arbeitete mit dem epochemachenden Max Reinhardt zusammen, spielte für Frank Wedekind auch skandalöse Rollen wie die Lulu. Einzug in die bildende Kunst fand sie nicht nur durch ihre erste Ehe mit dem Maler Eugen Spiro. Die Ehe hielt nur kurz, die Spuren auch in der Kunst sind entsprechend überschaubar. Dennoch lässt die Ausstellung diese Episode natürlich nicht aus, zumal das Leopoldmuseum selbst Eigner eines Bildnisses Tillas von der Hand Spiros ist.
Wesentlich vielfältiger und ertragreicher war Durieux’ zweite Ehe mit Paul Cassirer, einem der ambitioniertesten Kunsthändler seiner Zeit, ohne dessen Wirken sich die Kunstgeschichte wohl anders entwickelt hätte. Tilla Durieux’ – wenn auch später – Schritt von der Bühne ins Museum ist besonders hierdurch motiviert: Durch ihre berufliche und gesellschaftliche Rolle und den Kontakt mit zahlreichen bedeutenden Malern und Fotografen wurde sie zu einer der am häufigsten dargestellten Persönlichkeiten ihrer Zeit. Und das in der überbordenden Vielfalt der Stile, die jene innovationsbegeisterten Zeiten mit ihrer Entwicklung vom Kaiserreich in die Republik hervorgebracht haben. Cassirer beauftragte zahlreiche und stark unterschiedliche Künstler mit dem Porträt seiner Ehefrau. Tilla Durieux’ Abbilder bilden dadurch ihre kunsthistorische Epoche ab. Und wie wäre ein Vergleich der Stile und Techniken erkenntnisreicher, als wenn sie sich mit derselben Aufgabe in Paragone begeben? Zumal, wenn diese Aufgabe so vielschichtige Angebote macht wie das Porträt von Tilla Durieux. Wofür steht ein impressionistisches Gemälde von Auguste Renoir, das als Leihgabe aus dem Metropolitan Museum kommt, im Vergleich zu einer expressionistischen Fotografie von anonymer Urheberschaft, das Tilla Durieux in der Rolle der Lady Macbeth zeigt? Das erste ist 1914 entstanden und stammt also aus den letzten Zügen der Kaiserzeit, das zweite aus den 1930er-Jahren und wohl aus den letzten Zügen der Republik.
Nicht nur Kunst-, auch Realgeschichte bildet sich in den Bildnissen von Tilla Durieux ab. Bis zu ihrer Darstellung als reifere Dame mit weißem Haar im Lehnsessel, gemalt von Werner-Viktor Toffling 1961 und damit zehn Jahre vor Durieux’ Tod, ist in der Kunst, ist in der Politik und in ihrem Leben vieles geschehen. Abzulesen an der Schau, die jetzt im Georg Kolbe Museum in Berlin zu erleben ist.
Jan Bykowski ist Journalist für Kunst und ihr
Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen
13.5. – 20.8.2023
Georg Kolbe Museum
Sensburger Allee 25
D-14055 Berlin
Tel.: +49-30-3042144
Mo + Mi – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 5 €
www.georg-kolbe-museum.de
Text: Jan Bykowski
Bilder: Georg Kolbe Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 91