Zum ersten Mal kommt eine große und tiefgehende Ausstellung von Louise Bourgeois nach Wien. Darüber hinaus ist es das erste Mal, dass ihr malerisches Werk so umfassend in Europa gezeigt wird, so die Kuratorin Dr. Sabine Fellner, die für die Gestaltung dieser eindrucksvollen Schau mit der Kuratorin Johanna Hofer vom Belvedere zusammengearbeitet hat.
Die Werke von Louise Bourgeois laden zu intimen visuellen Begegnungen ein, sowohl auf der Ebene spontan-instinktiver als auch imaginärer Reaktionen. Sie regen bisher uneingestandene Gefühle an oder zwingen zur Erkundung eines völlig unbekannten emotionalen Terrains. Sie erwecken die Vorstellungskraft für neue Bereiche und greifen auch auf Erinnerungen an vergangene Erfahrungen zu. Die Gemälde, die in „Louise Bourgeois. Unbeirrbarer Widerstand“ zu sehen sind, entstanden zwischen 1938 und 1949 in ihrem frischen New Yorker Exil, also auch inmitten der weltweiten Turbulenzen des Zweiten Weltkriegs. Zusammen mit den Zeichnungen und Druckgrafiken aus dieser Zeit offenbaren sie uns das Formen- und Motivvokabular, das sich als Konstante herauskristallisieren und in den folgenden Jahrzehnten bis zu ihrem Lebensende auf unzählige Weise in ihren Skulpturen erforscht werden wird.
Die Leinwände verströmen die unheimliche und einsame Atmosphäre von Gemälden von Giorgio de Chirico und René Magritte, und eine Ähnlichkeit mit dem Surrealismus ist nicht zu leugnen. Bourgeois ist in Frankreich geboren, aufgewachsen und war mit der surrealistischen Szene bestens vertraut, bevor sie 1938 mit ihrem Mann, einem Kunsthistoriker, in die Vereinigten Staaten emigrierte. Dennoch lehnte Louise Bourgeois ihr Leben lang entschieden ab, eine Surrealistin zu sein. Sie erklärte: „Ich war keine Surrealistin, ich war eine Existentialistin. Das ist das Zauberwort“.
Das Werk von Bourgeois lässt sich am besten verstehen, wenn man es als bedeutendes, einzigartiges Œuvre betrachtet. Diese Haltung fällt aus dem Rahmen der zeitgenössischen Kunstgeschichtsschreibung, die das Werk eines einzelnen Künstlers oder einer einzelnen Künstlerin als ein Kettenglied in der logischen Abfolge der Entwicklung eines künstlerischen Stils betrachtet. Sie widersetzt sich den starren, linearen Kategorisierungen, die man mit der männlichen Weltsicht assoziiert, eine Weltsicht, die einen Großteil der Geschichte, der Gesellschaft und ihrer Wahrnehmung dominiert. Louise Bourgeois ist daher allein schon durch ihre Existenz und ihre Art, Kunst zu machen — ohne offen politisch zu sein — eine feministische Revolutionärin, ihr Werk eine Inspiration und Ermutigung für die feministische Bewegung seit Mitte des 20. Jahrhunderts.
Da die Ausstellung in Wien, der Geburtsstadt der Psychoanalyse stattfindet, hatte Dr. Fellner die Idee, als besonderen Aspekt der Schau die Beziehung von Louise Bourgeois zur Psychoanalyse zu beleuchten. Von 1951 bis zum Tod ihres Psychoanalytikers im Jahr 1985 unterzog sich Louise Bourgeois einer Psychoanalyse, die eine solche Intensität erreichte, dass sie von 1953 bis 1964 keine Einzelausstellungen hatte und ihr künstlerisches Schaffen von 1955 bis 1960 fast völlig zum Erliegen kam. Als sie wieder in die Kunstszene zurückkehrte, hatte sich ihre Kunst radikal verändert und die organische, überwältigende und wilde, reife bildhauerische Sprache, die wir mit Louise Bourgeois assoziieren, kam zum Vorschein. Bourgeois betrachtete ihre Kunst als eine alternative Form der Psychoanalyse. Im Laufe der Entwicklung ihres skulpturalen Werks wurden jene Themen, die wir in ihren Gemälden wiedererkennen, immer komplexer, da sie Hilflosigkeit, Angst, Selbstschutz, Fürsorge und Sexualität, aber auch Ärger, Aggression, Wut und Protest nachspürte.
In der Ausstellung im Unteren Belvedere wird ein Querschnitt der Gemälde, die zuletzt im Metropolitan Museum of Art in New York zu sehen waren, mit grafischen Arbeiten, Skulpturen und zwei von Bourgeois’ Rauminstallationen, „Zellen“ genannt, kontextualisiert, inklusive ihre letzte Zelle, „The Last Climb“ (2008). „Louise Bourgeois. Unbeirrbarer Widerstand“ ist eine Ausstellung, die nicht versäumt werden darf.
Im Herbst 2023 wird Dr. Renée Gadsden zum ersten Mal auf Isländisch veröffentlicht, kuratiert Kunstausstellungen in Wien, München und Budapest und nimmt am Philosophicum Lech teil.
Louise Bourgeois. Unbeirrbarer Widerstand
22.9.2023 – 28.1.2024
Unteres Belvedere
Rennweg 6
A-1030 Wien
Tel.: +43-1-795570
Täglich 10 – 18 Uhr
Eintritt: 15,60 €, erm. 11,90 €
www.belvedere.at
Text: Dr. Renée Gadsden
Bild: Unteres Belvedere
Erstveröffentlichung in kunst:art 93