Eine multimediale Landschaft zum Eintauchen

24.9.2023 – 1.4.2024 | Schauwerk Sindelfingen

Doug Aitken, Migration, 2008

An einem städtischen Strandabschnitt gehen Menschenmassen ein und aus wie Ebbe und Flut. Tagsüber füllt sich der Strand, um sich in der Dunkelheit zu leeren – ein nie endender Kreislauf. So fließt der Film dahin und folgt einem unterbewussten Faden, bei dem Ton und Sprache das Bindeglied bilden. Willkommen in Doug Aitkens aktueller künstlerischer Sicht auf die Welt, die nun mit der erstmals in Europa gezeigten Arbeit „Wilderness“ (2022) im SCHAUWERK Sindelfingen vorgestellt wird. Für das aus mehreren im Kreis angeordneten Bildschirmen bestehende Werk filmte Aitken dafür zu Beginn der Corona-Pandemie das alltägliche Geschehen am Strand in der Nähe seines Wohnhauses in Los Angeles. Unterlegt mit KI-generierter Musik, rhythmisiert durch den Wechsel von Landschaftsaufnahmen und Szenen mit Personen, wird ein Zyklus von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Nacht gezeigt.

Der 1968 in Redondo Beach, Kalifornien, geborene Aitken verbindet in seinen vielfach ausgezeichneten Arbeiten dynamisch Film und Musik, Architektur, Performance und Skulptur. Seit fast dreißig Jahren schafft er dadurch Kunstwerke von faszinierender audiovisueller Intensität und suggestiv-verführerischer Kraft. Seine Arbeiten zeugen von einer eingehenden Beobachtung der Wirklichkeit und sind Ausdruck einer philosophischen Betrachtung der Welt. Er nimmt den Betrachter seiner Film- und Soundarbeiten mit auf eine synästhetische Reise um die Welt und letztlich zu sich selbst, stellt existenzielle Fragen des Lebens, liefert jedoch keine einfachen Antworten. Stattdessen bringt er eine Begeisterung für das Menschsein und das gemeinschaftliche Zusammenwirken zum Ausdruck.

Aitkens Themenwelt kreist fortwährend um die menschliche Zivilisation: die Entfremdung des Einzelnen und die Vereinzelung in der Masse, der Umgang des Menschen mit Natur und Technik sowie die Auswirkungen dieser Faktoren auf das Zusammenleben, auf die menschlichen Beziehungen an sich. Ebenso wie die Überwindung räumlicher Grenzen sind die Bewegung und die Geschwindigkeit zwei wesentliche Motive, die Doug Aitken in seinen Arbeiten immer wieder aufgreift. Er ergründet unsere globale und stetig beschleunigte Gegenwart. Seine Werke fordern das unmittelbare Erfahren, das mit der sensuellen Wahrnehmung beginnt und in der Aktivität endet. Wir befinden uns bei Doug Aitkens Arbeiten nie davor, sondern vielmehr in ihnen. In der Arbeit „migration (empire)“ von 2008 zeichnet Aitken das Porträt der örtlichen Verlagerung weiter. Er beschreibt den Zustand, überall, aber letztlich nirgendwo zu sein, indem er die Handlung in Motel-Zimmer außerhalb der Metropolen verlegt. Auf drei großen hintereinander an Werbetafeln erinnernden aufgestellten Billboardscreens wird die Arbeit präsentiert. Der Blick führt nach und nach in einzelne Zimmer, in denen Tiere auftauchen: Ein Pferd steht auf einem abgewetzten Teppich, ein Biber badet in einer Wanne, Hasen lümmeln sich auf Betten. Eine narrative Handlung ist nicht erkennbar, vielmehr thematisiert Aitken das Sehen an sich und die Denkmuster, die das visuelle Entdecken ein- und begrenzen.

Stefan Simon weiß als Kunsthistoriker, dass es immer auch auf die Perspektive ankommt.

Doug Aitken. Return to the Real
24.9.2023 – 1.4.2024
Schauwerk Sindelfingen
Eschenbrünnlestr. 15
D-71065 Sindelfingen
Tel.: +49-7031-9324900
Mi – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 5 €
www.schauwerk-sindelfingen.de

Text: Stefan Simon
Bild: Schauwerk Sindelfingen
Erstveröffentlichung in kunst:art 93