Wie auch immer man es macht, …
Aus aktuellem Anlass sind einige Gedanken (keine Handlungsanweisung!) dazu notwendig, wie man von Seiten der Museen damit umgehen kann, wenn Menschen bei Veranstaltungen niedergebrüllt werden oder Kunstaktionen gezielt gestört werden oder, nicht ganz so aktuell, wenn Künstler Kunst zeigen, die sich gegen Minderheiten richtet. Zur Sachlage: Kürzlich wurde in Berlin im Hamburger Bahnhof eine künstlerische Lesung zu Hannah Arendt gestört. Verschiedene Personen des Museums wurden beschimpft und pro-palästinensische Aktivisten haben die anwesende Leiterin des Jüdischen Museums Frankfurt Mirjam Wenzel verbal übel angegriffen. Ein Einzelfall, der aber in einer Kette von Einzelfällen zu betrachten ist.
Spätestens seit der Documenta 2022 wissen wir, dass es anderswo auf der Welt Orte gibt, an denen Judenfeindlichkeit weder verboten noch unschicklich ist. Wer sich also der Kunst und den Künstlern auf anderen Kontinenten öffnen möchte, der muss sich auf die Möglichkeit unangenehmer Erfahrungen einstellen. Bisher haben sich die Verantwortlichen zumindest bei den bekannt gewordenen Fällen extrem unglücklich verhalten. Zugegeben: Möglicherweise gibt es auch keine perfekte Lösung! Vielleicht noch nicht einmal eine bessere …
Fangen wir beim Publikum an: Das Museum hat Hausrecht und das Museum kann, um dieses Hausrecht auch durchzusetzen, die Polizei rufen. Natürlich ist Fingerspitzengefühl gefragt. Es macht keinen Sinn, wenn wegen jeder Uneinigkeit direkt die Polizei anrücken soll. Aber wenn auf einer Veranstaltung wiederholt gestört wird, Menschen beschimpft werden und möglicherweise auch rassistische oder judenfeindliche Parolen geschrien werden, dann kann man ein Hausverbot aussprechen, und wenn dem nicht freiwillig nachgekommen wird, dann bitte gerne die Polizei rufen. Auf gar keinen Fall sollten die Ordner oder das Museumspersonal das erledigen. Natürlich sieht man am Ende immer blöd aus: Wie schnell heißt es, dass man keine Meinungsfreiheit zulasse oder dass man faschistisch sei. Das ist die übliche Begleitmusik, die man aushalten muss. Und übrigens: Das Beschimpfen und Niederbrüllen anderer Menschen hat mit Meinungsfreiheit rein gar nichts zu tun.
Hier sollte ein vernünftiges Handeln eigentlich einfach sein. Da aber die Mitarbeiter der Museen es glücklicherweise nicht gewohnt sind, mit solchen Umständen zu tun zu haben, kann das natürlich schiefgehen.
Komplizierter wird es bei den eingeladenen Künstlern, wie im Falle der Documenta beispielsweise. Denn hier geht es nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern auch um künstlerische Freiheit, möglicherweise auch Satire. Was muss man also aushalten und wo sind Grenzen überschritten?
Immerhin kann man das Ganze ja auch umdrehen: Einen an das Kreuz genagelten Frosch (Martin Kippenberger) kann man als religiöse Verunglimpfung betrachten, die verboten sein müsste oder als künstlerische Provokation, die man aushalten muss. Und wer muss mehr beschützt werden? Die Mehrheit in der Gesellschaft, also Christen, oder die Minderheit, also beispielsweise Juden in Deutschland? In der Regel sollte eine Minderheit als schützenswerter betrachtet werden.
Die Grenzen sind fließend und es besteht immer die Gefahr, dass man sich eine blutige Nase holt. Fallen Stereotypen gegen Minderheiten noch unter Kunstfreiheit oder ist das bereits eine Beleidigung? Ab wann ist eine Beleidigung als so ernsthaft zu verstehen, dass das justiziabel wird und nicht mehr von der Freiheit der Kunst abgedeckt ist?
Und welches Bild wird vermittelt, wenn ausgerechnet ein Museum Künstlern vorschreibt, was gestattet ist und was nicht? Und wie kann unsere Politik im Ausland auftreten und dort verlangen, dass die Freiheit der Kunst geschützt werden muss, wenn wir bei anderen Themen so scheinbar empfindlich sind?
Vielleicht muss man einfach eingestehen, dass es gerade in solchen Fragen kein allgemeingültiges Rezept gibt. Und vielleicht noch einen Schritt weiter: Es gibt sogar Situationen, in denen man nur falsch regieren kann. Nichts zu machen kann ein Fehler sein und zu handeln ebenfalls.
Text: Mathias Fritzsche
Erstveröffentlichung in kunst:art 96