
Die Suche nach dem irdischen Paradies
Schon Arkadien stand als Mythos der Frühen Neuzeit um 1700 als ideeller Sehnsuchtsort vieler Künstler für ein Leben jenseits gesellschaftlicher Zwänge. Vielversprechend sollte er Seelenheil in der Rückbesinnung auf die und der Aufhebung des engen Rahmens einer zivilisierten Gesellschaft bringen. Im Eskapismus aus dem engen gesellschaftlichen Korsett suchte man Freiheit, ursprünglich jedoch gemeint als Freiheit des Großadels. So träumten Adelige in Schäferideologien vom ruhigen Leben auf dem Land verkleidet als Schäfer. Diese Sehnsucht lebte fort und zog im 18. Jahrhundert das deutsche Bürgertum und um 1900 schließlich Intellektuelle aller Art an.
Während arkadische Landschaften im Europa der Frühen Neuzeit konstruierte Phantasmen blieben, versuchten Reformbewegungen sie in die Wirklichkeit zu holen. Die Suche nach dem Sinn, der Essenz des Lebens und derjenigen Lebensform, welche Heilung und Glück in Einklang mit der menschlichen Natur bringen sollte, ist Mittelpunkt dieser Lebenswelt.
Die Sonderausstellung „PARA-MODERNE. Lebensformen ab 1900“, zu sehen in der Bundeskunsthalle bis April, zeichnet das emanzipatorische Potenzial dieser Bewegungen und deren ästhetischer Gestaltung nach. Auffällig ist, dass Themen der Kommunen einen Bogen in die heutige Zeit schlagen, in welcher etwa der Verzicht auf Fleisch im Sinne klimafreundlicher, nachhaltiger Ökologie und körperliche Fitness wieder mehr in den Fokus rücken. Objekte aus den Bereichen Design, Lebenskultur und Kunst präsentieren diese vorherrschenden Themen wie Ernährung, Spiritualität und Körperkultur in Abkehr zur herrschenden Norm. Zu sehen sind Wegbereiter der Ansätze wie etwa Ida Hoffmann, Pianistin und Wagnerianerin, welche formulierte:
„Aus dem Leben einiger Menschen will ich erzählen, welche innerhalb der heute allgemeinen, auf Egoismus und Luxus, auf Schein und Lüge gebauten Verhältnisse aufgewachsen, und teils durch Krankheit körperlicher Art, teils durch Krankheit gemütlicher Art zur Erkenntnis gelangt, Umkehr machten, um ihrem Leben eine natürlichere und gesündere Wendung zu geben.“
So zog sie mit fünf weiteren Aussteigern inspiriert durch Karl Wilhelm Diefenbachs Idealvorstellung vom Leben in der Natur nach Tessin und gründete dort die Reformsiedlung Monte Verità. Gelebte Maximen sollten individuelle Freiheit, Pazifismus, Vegetarismus, Befreiung aus patriarchalischen Verhältnissen sowie ungebundene Beziehungen sein. Monte Verità wurde zum Pilgerort für Zivilisationsmüde, Künstler und Freidenker aus ganz Europa.
Fotografien, Zeichnungen und Schriftstücke spiegeln dem Betrachter der Schau den bestehenden Wunsch nach Rückbesinnung auf Ruhe und Heilung in einer chaotisch empfundenen Welt wider. Die Ausstellung vermittelt deutlich, dass der Trend zur Achtsamkeit und Natur als Gegenmittel zum Kapitalismus kein neues Phänomen der heutigen unruhigen Zeit, sondern ein immer wieder aufkeimendes menschliches Bedürfnis zu sein scheint.
Johanna Bayram lebt und arbeitet in Nordrhein-Westfahlen
Para-Moderne. Lebensreformen ab 1900
11.4. – 10.8.2025
Bundeskunsthalle
Helmut-Kohl-Allee 4
D-53113 Bonn,
Tel.: +49-228-9171200
Di – So 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 21 Uhr
Eintritt: 13 €, erm. 6,50 €
www.bundeskunsthalle.de
Text: Johanna Bayram
Bild: Bundeskunsthalle
Erstveröffentlichung in kunst:art 103