Helen Frankenthaler im Museum Reinhard Ernst

16.03. - 28.9.2025 | Museum Reinhard Ernst

Helen Frankenthaler in ihrem Atelier an der Ecke East 83rd Street/3rd Avenue, New York, 1969

Risikobereitschaft und Experimentierfreude

„Ich würde eher eine hässliche Überraschung riskieren, als mich auf Dinge zu verlassen, von denen ich weiß, dass ich sie tun kann. Das ganze Geschäft des Erkennens, der kleine Farbbereich in einer großen Leinwand, wie sich Kanten treffen, wie Unfälle kontrolliert werden – das alles fasziniert mich.“ Helen Frankenthalers malerisches Kunstschaffen scheint geprägt zu sein von einer kalkulierten Risikobereitschaft gepaart mit einer unermüdlichen Experimentierfreude.

Zu erleben sind die farbgewaltigen Malereien von Helen Frankenthaler (1928–2011) nun im Wiesbadener Museum Reinhard Ernst. Rund fünfzig Werke der New Yorker Künstlerin, die als einflussreiche Vertreterin des abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei gilt, hat der Unternehmer und Kunstsammler Reinhard Ernst in den vergangenen Jahren erworben. Er besitzt somit weltweit die größte private Sammlung Frankenthalers. 32 Bilder sind nun in der Ausstellung „Move and Make“ zu sehen.

In den Farbwelten offenbart sich Frankenthalers Erfindungsreichtum, ihre Hingabe an das Medium der Malerei und vor allem ihre Entschlossenheit, konventionelle Pfade der Kunst zu verlassen und Neuland zu betreten. Sie beschritt einen anderen Weg als die männlichen Zeitgenossen, die actionreich Pinselhiebe und Farbtropfen fliegen ließen. 1952 erfand Frankenthaler die „soak stained“-Technik ihrer frühen Schüttbilder, bei der sie die stark mit Terpentin verdünnte Farbe auf eine am Boden liegende, ungrundierte Leinwand goss und dadurch leuchtende Farbspiele schuf. Frankenthalers Bilder erzeugen den Eindruck, dass die Farbe mit der Leinwand verschmelzen würde, womit jeder Ansatz von dreidimensionalem Illusionismus zunichtegemacht wird.

Nahezu immer ließ die Malerin unbearbeitete Fläche stehen, wodurch die rohe Leinwand eine wichtige Rolle in der finalen Komposition spielt. Frankenthaler verglich die unbearbeiteten Stellen mit der Möglichkeit des Bildes zu atmen. Ihren Willen zur Erneuerung und ihr schöpferisches Selbstverständnis erklärte Frankenthaler Anfang der 1970er-Jahre in jenem Zitat, das in verdichteter Form der Schau den Titel verleiht. „I’d rather think and move and make than halt“ („Ich denke lieber, bewege und mache, als stehen zu bleiben“). Ein künstlerisches Motto, das sich durchaus auch auf den Betrachter übertragen lässt.

Frankenthalers „move“ kann man etwa an dem Bild „Sea Level“ (1976) nachvollziehen. Aus Blau-, Braun- und Beigetönen, die allesamt etwas mit Wasser, Sand und Wolken zu tun haben, hat Frankenthaler zunächst eine Meeresansicht komponiert, sie nachträglich hochkant gestellt und das Arrangement damit völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Aus dem Meeresspiegel, den man erahnen kann, wurde so ein abstraktes Kunstwerk, das dem Betrachter größtmöglichen Freiraum zur Interpretation lässt. Der Kunstgriff funktioniert auch, wenn Stellen einfach unbearbeitet bleiben. So werden die roten, orangen und blauen Farbfelder im Bild „Spanning“ (1971) an die Ränder gerückt. Der Blick richtet sich auf die zentrale Leerstelle, die der Betrachter mit Leben füllen kann.

Stefan Simon arbeitet in Süddeutschland als freier Autor und Kurator.

Helen Frankenthaler. Move and Make
16.03. – 28.9.2025
Museum Reinhard Ernst
Wilhelmstr. 1
D-65185 Wiesbaden
Tel.: +49-611-76388880
Di – So 12 – 18 Uhr, Mi 12 – 21 Uhr
Eintritt: 14 €, erm. 12 €
www.museum-re.de

Text: Stefan Simon
Bild: Museum Reinhard Ernst
Erstveröffentlichung in kunst:art 103