
Reise auf den Ozeanen der Seele
Die Berlinische Galerie, genauer das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, hat schon so manch ungewöhnliche oder auch mal ziemlich schräge Kunstäußerung in ihren so klaren Räumen in der Kreuzberger Alten Jakobstraße beherbergt. Was aber jetzt dort zu sehen (hören, fühlen usw.) ist, sprengt noch einmal Grenzen.
„Psychonauten“: So ist das gemeinsame Projekt von John Bock und Heiner Franzen so knapp wie anspielungsreich schillernd überschrieben. Und statt wie die Argonauten der antiken Sage nach dem Goldenen Vlies zu suchen oder wie die Astronauten im All nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, sind die Seelenschiffer hier unterwegs auf den inneren Ozeanen. Als Verfasser einschlägiger Handbücher für diese Reise ist, versteht sich, der Doktor Sigmund Freud eine bekannte Größe, der vor auch schon mehr als hundert Jahren mit analytischem Blick die einzelnen Instanzen des menschlichen Ichs akribisch auseinanderfieselte. Und letztlich, angesichts der Rätsel der menschlichen Psyche und ihrer manchmal finsteren Abgründe auch keine so ganz klaren Antworten fand …
Die beiden Reisenden John Bock (* 1965) und Heiner Franzen (* 1960) sind, so scheint es, mit hochqualifiziertem heilkundlichem Besteck versehen, schütteln sie doch ganz locker fremdwortstarrende Diagnosen wie „Eidotter-Hypoxie-Theorem“ (ein Werktitel von Bock) aus dem Ärmel. Aber man ahnt es, das Absurde wohnt hier ganz dicht neben dem Hochgelehrten. Ihre Kunst ist absolut theatralisch, seien es nun die bühnenhaften Arrangements ihrer Installationen („Twin“ etwa, von Franzen) oder gar die Filme.
Tatsächlich ist es das ästhetische Vokabular dieser (nicht zufällig gleichzeitig mit der Psychoanalyse entstandenen) Kunstform, das sich hier als höchst ergiebig erweist: die scheinbar stringent ablaufende Erzählung, die doch ins traumhafte Assoziieren führt, der brutale Schnitt, der Unzusammenhängendes verblüffend in Beziehung setzt, oder die absurde Montage. Von allem reichlich bietet denn auch „Cowwidinok“ (oder, in der bevorzugten Eigenschreibweise der Künstler, „COWWIDINOK“). Aber egal ob mit Versalien oder ohne, so ganz wird man aus diesem Film von 2015 wohl kaum schlau: Das Personal scheint der italienischen Commedia dell‘arte entsprungen mit karikierend übersteigerter Schminke und Kleidung aus dem 18. Jahrhundert, andererseits aber tauchen modernere Gestalten mit helmartiger Kopfverpackung auf.
Aber vielleicht liefert die alte Stegreifkomödie doch einen brauchbaren Hinweis: Auch sie zeigt eine Welt, deren Maßstäbe ins Rutschen kommen, ist moralisch indifferent, ihre Figuren sind Masken (und hören wir da nicht den Wiener Seelenforscher?). Oder auch Antonin Artauds „Theater der Grausamkeit“. Es ist alles zum Heulen in dieser Kunst, das schon, aber eigentlich ebenso zum Lachen. Die Berlinische Galerie verfügt über mehrere Werke des Duos und reichert sie für diese Schau mit Leihgaben an. Bleibt nur noch zu wünschen: Gute Reise!
Dieter Begemann ist Künstler und Kunstwissenschaftler, der Architektur, Design, Autos und Italien liebt!
John Bock und Heiner Franzen. Psychonauten
07.03. – 11.8.2025
Berlinische Galerie
Alte Jakobstr. 124–128
D-10969 Berlin
Tel.: +49-30-78902600
Mo + Mi – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 6 €
www.berlinischegalerie.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Berlinische Galerie
Erstveröffentlichung in kunst:art 103