Auf ins All!

19.9.2021 – 10.4.2022 | Deichtorhallen Hamburg

Es ist schon seltsam: Nachdem die Raumfahrt lange Zeit eine Sache für Spezialisten war – der Spaceboom der Sixties ist lang her –, wird jetzt allenthalben wieder zum Countdown gerufen; Die Chefs von Virgin Atlantic und Amazon sind schon unterwegs und auch die Künstler lassen sich nicht lumpen. Zu den künstlerischen Raumfahrern zählt prominent Tom Sachs, der in den Hamburger Deichtorhallen gleich ein ganzes „Space Program“ vorstellt. Der amerikanische Künstler (* 1966) will mit einem Team auf interstellare Mission gehen, deren Ziel „Rare Earths“ sind, seltene Erden, Rohstoffe, die für Computerchips und Batterien benötigt werden. Es ist der vierte Teil eines großangelegten Ausstellungszyklus, einer nun schon dreizehnjährigen „Erforschungsreise an die Grenzen anderer Welten und menschlicher Möglichkeiten zur Erforschung des Weltraums“. Was klingt wie eine Presseverlautbarung der NASA aus ihren besten Zeiten, ist zu lesen in der Ausstellungsankündigung der Deichtorhallen, und hier wird natürlich auch klar, dass Grenzen unscharf werden – werden sollen – zwischen der „realen“ Welt und der zwangsläufig im Fiktiven verbleibenden Kunst.

Inmitten vorbildgetreuer und, wie es den Anschein hat, ziemlich originalgroßer Nachbauten von LEM – Lunar Excursion Module – und verwandtem, in der Weite der Sternenräume unverzichtbarem Equipment sind die Besucher keineswegs auf die passive Zuschauerrolle beschränkt. Ganz im Gegenteil, aktive Teilnahme ist jederzeit möglich und gefragt. Aber wer jetzt an einen interstellaren Vergnügungspark denkt, hat entschieden zu kurz gedacht. Die Space-Kandidaten müssen sich vielmehr einem sogenannten „Indoktrinationsprozess“ unterziehen, in dessen Verlauf spezifische Fragen und Aufgaben gestellt werden. Als Lohn der Anstrengung winkt dann eine „ID“, welche die Zugehörigkeit zum „Tom-Sachs-Team“ besiegelt und das „Recht, an der Installation teilzunehmen“, gibt. Aber mehr noch, den erfolgreich „indoktrinierten“ Mannen und Frauen winkt ein Ritual der „Transsubstantiation“ (die Wandlung, sonst bekanntlich nur in der katholischen Messe zu haben). Und dann ein Selfie vor der „Mission Control“? Aber neeein, die Mobiltelefone sollten tunlichst vorher abgegeben werden, um so einen „Beitrag zu Sachs‘ Feldforschung zur mentalen Vernetzung der Menschheit und zu ihrer Sucht nach Technologie“ zu leisten, wie aus den Deichtorhallen zu hören ist.

Satire, Ironie und tiefere Bedeutung sind bei diesem Projekt also eng verknüpft – vergessen wir nicht, dass alles der vom Künstler gerne so genannten „Philosophy of bricolage“ subsummiert ist, also einem „bastlerischen“ Denken, das Materialien und Gedanken, frei vom ursprünglichen Zweck, munter kombiniert. Und da kann schon mal schlichtes Klebeband die Aufgabe hochtechnischer Vorrichtungen übernehmen. Oder diese Übernahme einfach mal simulieren … Tom Sachs ist ein Meister der spielerischen Simulation – seine Kooperation mit dem Sportartikelhersteller Nike offeriert dem Space-Adepten „Mars-Yard2-Überschuhe (um die 1000 €) für die ersten Schritte auf fremden Planeten.

Dieter Begemann ist Künstler und Kunstwissenschaftler, der Architektur, Design, Autos und Italien liebt!

 

 

Tom Sachs. Space Program: Rare Earths
19.9.2021 – 10.4.2022
Deichtorhallen Hamburg
Halle für aktuelle Kunst
Deichtorstr. 1-2
D-20095 Hamburg
Tel.: +49-40-32103200
Eintritt: 12 €, erm. 7 €
www.deichtorhallen.de

Text: Dieter Begemann
Bild: Deichtorhallen Hamburg
Erstveröffentlichung in kunst:art 81

Über Dieter Begemann 270 Artikel
Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!