von Dr. Milan Chlumsky //
Als Maria Lassnig 1993 mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, hat man sich zu Recht die Frage gestellt, wieso die 1919 geborene österreichische Künstlerin so lange als krasse Außenseiterin des Kunstbetriebs galt. Schon 1948 hatte sie in Klagenfurt eine erste Ausstellung gezeigt, in der ihr besonderes Anliegen – das zu malen, was sie auch körperlich empfindet – zum ersten Mal sichtbar wurde. Dennoch dauerte es noch 32 Jahre, bis sie 1980 als eine der ersten Frauen im deutschsprachigen Raum eine Professur für Malerei an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien übernehmen konnte und auch ihr Land bei der Biennale in Venedig vertrat.
Lange wurde auch darüber gestritten, ob Maria Lassnigs Arbeiten in die Domäne der Abstraktion oder doch des Realismus gehören – und ziemlich ratlos standen viele lange Zeit vor dem Rätsel, dass es möglich sein soll, das zu malen, was der Körper empfindet und nicht nur das, was die Augen sehen. „Ich male und zeichne nicht den ‚Gegenstand’ Körper, sondern ich male Empfindungen vom Körper“, sagt Lassnig, beispielsweise die Empfindung von Kälte. Gemeint ist weniger die Außentemperatur als vielmehr die psychische Kälte, die ein Körper durchaus empfinden kann. Mit ihren „Keller-Bildern“, die in realistischer Manier gemalt sind, erkundete sie früh den Einfluss von Licht auf das Gemüt der Menschen; all ihre Protagonisten scheinen unter einer durchsichtigen Folie gefangen zu sein. Nach und nach begreift man, dass die weit aufgerissenen Augen eines Mannes, der nur darauf bedacht ist, Sport zu treiben, der endgültige Ausdruck dieses Körperempfindens ist und dass dies das Leitmotiv ihrer Arbeiten geworden ist.
Nach Lassnigs Tod 1994 – nur ein Jahr nach der Ehrung mit dem Goldenen Löwen in Venedig – hat man begriffen, dass sie zweifellos zu der großartigen Riege weiblicher Künstlerinnen des vergangenen Jahrhunderts gehört, neben Louise Bourgeois, Joan Mitchell oder Germaine Richier, des vergangenen Jahrhunderts gehört und dass sie, sowohl in der Malerei wie auch in ihren Zeichnungen (und auch in ihren Filmen), absolut konsequent ihrer Linie des Körperbefindens treu geblieben ist – eine Eigenschaft, die ihrer Meinung nach, in der von Männern erschaffenen Kunst nicht existent ist.
Ihr Stipendienaufenthalt 1961 in Paris brachte ihr so gut wie keine Anerkennung seitens der französischen Kollegen – sie würde zum deutschen Expressionismus gehören, das sei passé. Während ihres Amerikaaufenthaltes 1968 bis 1980 begann sie, intensiv an ihren Körperbewusstseinsbildern zu arbeiten und dabei sowohl das Absurde wie auch das Humoristische und Lächerliche in ihren Gemälden und Zeichnungen (ebenso in ihren dort entstandenen Zeichentrickfilmen) zu thematisieren.
Jetzt präsentiert die Wiener Albertina an die 100 ihrer Handzeichnungen, darunter einige, die nie zuvor gezeigt wurden. Überzeugend ist die zeichnerische und malerischen Qualität sowie die überraschende Vielfalt der Techniken – Kreide, Gouache, Acryl, Aquarell –, die sie für ihre eigentümliche „Sprache“, die man heute fast als klassisch bezeichnen möchte, nutzte.
Dr. Milan Chlumsky ist freier Kurator, Kunstkritiker, Fotohistoriker.
Text aus der kunst:art 55
Maria Lassnig – Zwiegespräche
Retrospektive der Zeichnungen und Aquarelle
Albertina
5.5. – 27.8.2017
Albertinaplatz 1, A-1010 Wien
Tel.: +43-1-534830
täglich 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 21 Uhr, Eintritt: 12,90 €, erm. 7 – 9,90 €
www.albertina.at
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