Der kulturelle Austausch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg ist kein Phänomen der Neuzeit. Bereits in der vorchristlichen Zeit kamen über Handelsrouten wie die Seidenstraße Menschen verschiedener Kulturen zusammen und beeinflussten sich gegenseitig. Anhand von Münzfunden ist es möglich, interkulturelle Beziehungen nachzuvollziehen und in einen zeitlichen Kontext zu setzen.
Nicht ganz so weit zurück in die Vergangenheit geht die Ausstellung „Re-orientations“ im Kunsthaus Zürich, in der Kunst- und Sammelobjekte aus der islamisch geprägten Welt und Gemälde von europäischen Künstlern wie Henri Matisse oder Paul Klee in einer Ausstellung zusammengebracht werden. Anhand von rund 170 Exponaten werden die Grenzen zwischen kultureller Inspiration und kultureller Aneignung ausgelotet und kritisch hinterfragt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren nordafrikanische Länder wie Tunesien, damals noch unter französischer Kolonialmacht stehend, beliebte Ziele für europäische Künstler, die sich vom intensiven Licht, den gedeckten Farben und den Formen dieser Region inspirieren ließen und beeinflusst durch ihre Eindrücke die europäische Kunstgeschichte veränderten.
Gleichzeitig prägten Gemälde wie „Le tapis rouge“ von Henri Matisse oder „A visit: A Harem Interior“ von Henriette Browne den europäischen Blick auf diese Länder und manifestierten Stereotype, die dem reichen kulturellen Erbe des sogenannten „Orients“ in keiner Weise gerecht werden.
Auch die Einordnung in „westliche“ und „islamische“ Länder fällt je nach Betrachtungszeitraum unterschiedlich aus. Der islamische Kulturraum erstreckte sich zeitweise von Südost- bis Westasien und von Nordafrika bis in den iberischen Raum. So erinnert ein filigranes Fliesenmosaik aus einer Villa in Sevilla daran, dass geografische und kulturelle Grenzen keine feste Größe darstellen.
Die Weltausstellung in London 1851 brachte erste Eindrücke islamischer Kunst nach Europa und zog regelrechte Begeisterungsstürme nach sich. Eine weitere Ausstellung mit dem Titel „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“ mit rund 3.600 Exponaten, die 1910 in München stattfand, förderte die Akzeptanz, Kunstwerke aus einem anderen Kulturraum als ebenbürtig anzuerkennen.
Die inhaltlich breit aufgestellte Ausstellung zeigt mit einer Vielzahl an Zeichnungen, Aquarellen, Gemälden und Fotografien sowie Objekten aus Metall, Keramik und Glas einen Einblick in den kulturellen Reichtum der islamischen Welt und deren Einfluss auf Europa und zieht Rückschlüsse auf die Gegenwart.
Re-Orientations. Europa und die islamischen Künste, 1851 bis heute
bis zum 16.7.2023
Kunsthaus Zürich
Heimplatz
CH-8001 Zürich
Tel.: +41-44-2538484
Di – So 10 – 18 Uhr, Mi + Do 10 – 20 Uhr
Eintritt: 23 – 29 CHF, erm. 18 – 23 CHF
www.kunsthaus.ch
Text: Karin Gerwens
Bild: Kunsthaus Zürich
Erstveröffentlichung in kunst:art 91