Bildgewaltige Opposition

14.5. – 24.9.2023 | Kunsthaus NRW

Schon vier Jahrzehnte dauert es an, dass die wohl bekannteste Region des europäischen Tagebaus Garzweiler II – ein Gebiet, das eine Größe von 48 Quadratkilometer umfasst – unerbittlich von den Gerät- und Machenschaften des RWE-Konzerns mitsamt seiner Tochter RWE-Power beackert und gezielt ausgelöscht wird. Denn um die begehrte Braunkohle zu gewinnen, muss – anders als etwa beim Abbau von Steinkohle – oberirdisch gearbeitet werden. Im Jahr 1983 entstand durch den Zusammenschluss der Abbaufelder Frimmersdorf-West und Frimmersdorf-Süd der Großtagebau Garzweiler, dem 1995 die Genehmigung für Garzweiler II folgte – mit teils verheerenden Folgen: Umsiedlungen ganzer Ortschaften und Dörfer mitsamt ihrer tausenden Bewohner, die den Verlust von Heimat und ihrem sozialem Gefüge hinnehmen mussten.
Das Kunsthaus NRW, situiert in Aachen-Kornelimünster und nur einen Hauch von Garzweiler II entfernt, widmet diesem sozialpolitisch höchst komplexen Thema nun eine Ausstellung: Wenn von Tag zu Tag und Jahr zu Jahr ein Stückchen Heimat, ein Bröckchen Identität, ein Teil Zuhause abgetragen wird, was macht das dann mit einem Menschen? Mit filmischen und fotografischen Exponaten versucht die Schau einen systematischen Überblick zu schaffen.
“Wo bleibt die Lebensqualität, wenn unser Wald zum Teufel geht?”, heißt es auf einem der Plakate der Protestierenden am Hambacher Forst aus dem Oktober 1978 in einer Arbeit von Bernd Boor, der mit seiner Familie selbst in den 1960er-Jahren von Alt-Balkhausen nach Türnich umgesiedelt wurde und die Proteste der ersten Stunde dokumentierte.
Klimaproteste, wie jene am Hambi oder in Lützerath, sind auch gegenwärtig von hoher Relevanz und scheinen eine Veränderung in der Fotografie, bisweilen einen Umbruch in der Medienpräsenz nach sich zu ziehen: Gaben in den Anfängen zunächst nur vereinzelte fotografische wie filmische Abbilder im Tagebaugebiet Zeugnis von künstlerischer Auseinandersetzung, so war der Moment der Waldbesetzung mit all seinen Aktivisten, den Baumhäusern und Verschlägen und den Heerscharen an Polizei ein Wendepunkt in der Dokumentation und führte zu einer verschärften Wahrnehmung.
Der Künstler Gregor Schneider hat sich mit seinem in Mönchengladbach-Rheydt entstandenen Langzeit-Projekt „Haus u r“ den größtenteils evakuierten Dörfern gewidmet. Auch eine neue in einer Tagebaugrube entstandene Videoinstallation sowie eine Fotoserie namens „Garzweiler neu“ gehören zu den gezeigten Exponaten.

Claudia Fährenkemper nähert sich dem Thema über die Folgen des Bergbaus, indem sie wüstenähnliche, nahezu apokalyptisch wirkende Landschaften und die völlig menschenleeren Gebäude und verödeten Orte ab den 1990er-Jahren fotografisch festhält.
Laurenz Berges, der von Thomas Weski einmal als “Chroniker der Absenz” bezeichnet wurde, folgt mit seiner Serie „Etzweiler“ (1999–2003) einem ähnlichen Ansatz, indem er die Lost Places mittels Farbfotografien mit beängstigender Klarheit einfängt. Auch Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, Susanne Fasbender, Gabor Fekete und Matthias Jung werden zu sehen sein.

Dr. Denise Susnja promovierte über Polaroid-Bilder von Künstlern.

Bildwiderstand. Garzweiler in Film und Fotografie
14.5. – 24.9.2023
Kunsthaus NRW
Abteigarten 6
D-52076 Aachen–Kornelimünster
Tel.: +49-2408–6492
Do – Sa 12 – 17 Uhr, So 11 – 17 Uhr
Eintritt frei
www.kunsthaus.nrw

Text: Dr. Denise Susnja
Bild: Kunsthaus NRW
Erstveröffentlichung in kunst:art 91