Nicht nur Krieg – Die Ukraine als Kunstland
Berlin, Dresden, Köln und Stuttgart laden zur Entdeckungsreise
Unsere Wahrnehmung der Ukraine ist unvermeidlich vom russischen Krieg formatiert: Einzelheiten zum militärischen Verlauf füllen die Nachrichten. Aber nur wenige Menschen hierzulande haben wohl eine klarere Vorstellung von der – für die Ukrainer ja so bedeutsamen – kulturellen Identität des angegriffenen Landes. Eine Gelegenheit, dies in Hinsicht auf die bildenden Künste zu ändern, ergibt sich nun im Viererpack, gleich mehrere große Ausstellungshäuser in Deutschland haben sich des Themas angenommen.
Den breitesten Ansatz wählt das Dresdner Albertinum. Das „Kaleidoskop der Geschichte(n). Ukrainische Kunst 1912-2023“ ist eine umfassende Überblicksschau, die erste ihrer Art in Deutschland und Europa. Quer durch die Kunstgattungen – Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Installationskunst und Grafik – stellt sich hier das Jahrhundert der Moderne im Überblick dar. Anstelle einer simplen chronologischen Abfolge fokussiert die Schau auf vier Hauptthemen (mit Überschneidungen): Praktiken des Widerstandes, Erinnerungskultur, Räume der Freiheit und schließlich Gedanken über die Zukunft. Dabei zeigt sich, dass die aktuelle künstlerische Arbeit vielfache historische Wurzeln hat – zum einen in der immer wieder auftauchenden Bezugnahme auf genuin ukrainische Traditionslinien, zum anderen aber in jener auf den Kontext der seinerzeitigen sowjetischen Kunst im Allgemeinen – und das Ganze vor dem Fond des internationalen Schaffens. Letzteres natürlich mit dominantem Akkord seit der Unabhängigkeit des Landes. „Die Ausstellung erzählt viele Geschichten über den schwankenden Zustand des Landes. Sie beschäftigt sich mit der Selbsterkenntnis in der ukrainischen Geschichte, die sich weniger aus Stolz, als unter äußerem Zwang entfaltet“, so umreißt man in Dresden das Konzept.
Im Kölner Museum Ludwig schaut man mit einem neuen Blick auf das, was wir für das frühe 20. Jahrhundert bis dato recht nonchalant als „Russische Avantgarde“ zu bezeichnen gewohnt sind. Das Museum Ludwig befragt hier durchaus selbstkritisch die Konventionen der Kunstgeschichte und der Museumsarbeit, die sich nämlich bislang bei ihren Kategorisierungen ohne Weiteres die offizielle sowjetische Lesart zu eigen gemacht hat, indem sie zahlreiche Künstler aus Kiew beispielsweise, Odessa oder Charkiw umstandslos der russischen Kunst zuschlug. „Hier und jetzt. Ukrainische Moderne 1900-1930“ ordnet nun genauer die modernistische Bewegung in der Ukraine ein ins komplizierte historische Gefüge.
Der Württembergische Kunstverein in Stuttgart führt mit „Kunst und Leben in Zeiten des Krieges“ mitten hinein in die aktuelle Situation und stellt Werke, Projekte und auch, im Moment besonders wichtig, Netzwerke ukrainischer Künstlerinnen und Künstler vor, die in der Ukraine leben oder auch außerhalb. Das führt gleich noch zum Stadtmuseum Berlin, das im Ephraim-Palais mit „Motherland“ zehn ukrainische Künstlerinnen und Künstler nach dem fragt, was für sie heute Heimat bedeuten könne.
Dieter Begemann interessiert sich (auch) für die angewandte Gestaltung, Kunsthandwerk oder Design: kurz, für die Raffinessen der Dinge!
Ukrainische Kunst 1912–2023
bis zum 10.9.2023
Albertinum
Tzschirnerplatz 2
D-01067 Dresden
Tel.: +49-351-49142000
Di – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 9 €
albertinum.skd.museum
Ukrainische Moderne 1900-1930 & Daria Koltsova
3.6. – 24.9.2023
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
D-50667 Köln
Tel.: +49-221-22126165
Di – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 8 €
www.museum-ludwig.de
Kunst und Leben in Zeiten des Krieges
17.6. – 13.8.2023
Württembergischer Kunstverein Stuttgart
Schlossplatz 2
D-70173 Stuttgart
Tel.: +49-711-223370
Di – So 11 – 18 Uhr, Mi 11 – 20 Uhr
Eintritt: 5 €, erm. 3 €
www.wkv-stuttgart.de
Motherland. Ukrainische Künstler:innen hinterfragen Heimat
4.6. – 10.9.2023
Museum Ephraim-Palais
Poststr. 16
D-10178 Berlin
Tel.: +49-30-24002162
Eintritt: 7 €, erm. 4 €
Di – So 10 – 18 Uhr
www.stadtmuseum.de
Text: Dieter Begemann
Erstveröffentlichung in kunst:art 92