Die Liebe ist rot, der Regenschirm auch
Ganz dezent hält das Mädchen den Regenschirm in der rechten Hand, während sie sich daran macht, über einen Holzzaun zu steigen: Dahinter befindet sich eine Holzbank, auf der ein Priester sitzt und liest. Er hat die Schritte des Mädchens offensichtlich mitbekommen und dreht seinen Kopf in ihre Richtung. Hat er auch den roten Regenschirm in der Hand des Mädchens bemerkt? Oder doch nicht? Und was wollte uns der als alter Kauz geltende Maler Carl Spitzweg damit eigentlich sagen?
Die Kunstwissenschaft ist sich heute einig, dass dieses oft übersehene Accessoire in Spitzwegs Malerei eine besondere Bedeutung hat: Es ist offensichtlich ein Symbol der Liebe, manchmal deutlicher hervorgehoben, manche Male jedoch eher versteckt. Man muss oft recht aufmerksam ein Bild studieren, damit man auch die rote Färbung des Stoffes entdeckt.
In einigen Regionen Deutschlands war zu Spitzbergs Lebzeiten der rote Regenschirm ein Requisit für eine mögliche Hochzeitsabsicht. So kann man auch in Spitzwegs Bildern den roten Regenschirm finden – wie es in dem Bild „Sennerin und Mönch“ (1838) der Fall ist – , der von ähnlicher Bedeutung ist, die jedoch nicht immer bemerkt wurde. Es lohnt sich, in seinen Werken möglichst genau die Konstellation der Protagonisten und ihrer Requisiten zu beachten, nicht nur in diesem Bild, sondern auch in anderen Bildern der Sammlung.
Denn Spitzweg erlaubte sich auch verschiedene kleine – oft bissige – Kommentare in einigen seiner Bilder, was erst bei einer grundlegenden Betrachtung sichtbar wird: So findet sich etwa ein Soldat, der strickt oder gähnt, ein Wachposten, der schläft, und eine Gouvernante, die einen symptomatischen Namen trägt: Jaluse (Jalouse – Eifersüchtig auf die junge Briefadressatin).
Carl Spitzweg wurde 1808 in einer wohlhabenden Münchener Familie geboren. Seine Mutter starb, als er 11 Jahre alt wurde, der Vater sah für ihn die Karriere eines Apothekers vor. Folgsam begann Carl eine Lehre, als sein Vater 1828 starb. Sein Pharmaziestudium beendete er 1832 mit Auszeichnung. Ein Jahr später war jedoch seine Apothekenkarriere zu Ende. Eine Krankheit führte dazu, den Entschluss zu fassen, Maler zu werden. Ein bedeutender Erbanteil erleichterte ihm diese Entscheidung und schon zwei Jahre später wurde er Mitglied des Münchner Kunstvereins. Bis zu seinem Tod mit 77 Jahren war er über 44 Jahre Mitarbeiter der Münchener Wochenzeitschrift Fliegende Blätter, für die er humoristische Zeichnungen schuf.
Spitzweg wurde sehr oft dazu gedrängt, “Kopien“ von seinen Bildern zu machen. Die Zahl seiner Originalarbeiten dürfte bei 1.500 liegen. Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt besitzt eine imposante Sammlung von etwa 1.000 Gemälden und über 4.600 Zeichnungen. Ein bedeutsamer Teil ist die Spitzweg-Sammlung mit 160 Gemälden und 120 Zeichnungen. Und, wie man sieht, für überraschende Neuentdeckungen offen.
Dr. Milan Chlumsky promovierte an der Pariser Sorbonne über Ästhetik und den tschechischen Poetismus.
Der rote Schirm. Liebe und Heirat bei Carl Spitzweg
17.3. – 16.6.2024
Museum Georg Schäfer
Brückenstr. 20
D-97421 Schweinfurt
Tel.: +49-9721-514825
Di 10 – 20 Uhr, Mi – So 10 – 17 Uhr
www.museumgeorgschaefer.de
Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Museum Georg Schäfer
Erstveröffentlichung in kunst:art 96