Hann Trier und Norbert Kricke in der Kunsthalle Schweinfurt

bis zum 2.6.2024 I Kunsthalle Schweinfurt

Hann Trier, o.T., 1951

Die große Geste im informellen Dialog

„Ich male nie, was ich sehe, selten was ich sah, immer sehe ich, was ich malte“, beschreibt die eigene künstlerische Arbeit als einen intuitiv gesteuerten Prozess. Hann Triers ungegenständliche Kompositionen sind daher nie bloße abstrakte Strukturen ohne einen gegenständlichen Ausgangspunkt. Hann Trier (1915 Kaiserswerth/Düsseldorf–1999 Castiglione della Pescaia) gehört zu den Künstlern der deutschen Nachkriegsgeneration, bei denen die spontane Geste zum eigentlichen Selbstzweck des Bildes wird: Der Malvorgang an sich wird zum Bildthema und bestimmt seine Ordnung. Das Thema seiner Bilder ist die Bewegung im Farbigen, Bewegungen, die er in der Vorstellung über die Bildgrenzen fortgesetzt sehen möchte. Farben und Formen in ihrer spezifisch gestischen Erscheinung sind der bildnerische Inhalt.

In der Kunsthalle Schweinfurt sind nun rund fünfzig Arbeiten auf Papier und Leinwand von Hann Trier aus der Zeit von 1948 bis 1999 zu sehen. Informelle Malerei, die sich in ihrer großen Geste in dem neun Meter hohen Raum der Kunsthalle perfekt entfalten kann und kongenial mit den von 1952 bis 1984 geschaffenen plastischen Arbeiten von Norbert Kricke (1922–1984 Düsseldorf) in Dialog tritt. Dabei scheinen die kurvierten und turmartig aufgebauten Linienbündel aus Stahl des Bildhauers Norbert Kricke die tanzende Bewegung des Pinselrhythmus auf der Leinwand des Malers Hann Trier aufzugreifen – oder je nach Sichtweise auch umgekehrt. Die Ausstellung schafft so einen kreativen Ort der informellen Formensprache zwischen Linie und Fläche, Farbigkeit und Tonigkeit, Ruhe und Bewegung und scheint über reale Grenzen hinauszuwachsen. Eine Skulptur im Raum kann sich als massiver, monolithischer Block ausbreiten oder aber die Konstruktion ihrer Körperhaftigkeit wie eine dreidimensionale Zeichnung im Raum entfalten. Nicht mehr primär die menschliche Figur, sondern das Gerüst der Figur, die Entmaterialisierung und Reduzierung der Form bis hin zu der Offenlegung der geometrischen Gesetzmäßigkeit wird für die Bildhauer zunehmend von Bedeutung.

Auf dieser zweiten Entwicklungslinie liegt das ungegenständliche plastische Werk von Norbert Kricke, der sich seit den 50er-Jahren ausschließlich mit dem Spannungsverhältnis zwischen Raum und Linie, den Bewegungsimpulsen seiner plastischen Liniensetzungen und deren zeitlicher Ausdehnung in der notwendigen Sehbewegung auseinandersetzte. Zu sehen gibt es in Schweinfurt verwinkelte, geschlossene Drahtbiegungen, die schließlich in Drahtknäuelungen übergegangen sind, die sich aus ihrem Zentrum heraus allseitig in den Raum ausbreiten. Kricke bündelte die Rundstäbe zu Raumebenen, die sich durchkreuzen, Kehrtwendungen machen und Bögen beschreiben, deren Stabelemente sich wieder vereinzeln, um die zusammengesetzten Flächen in den Raum auslaufen zu lassen. Bereits 1954 stellte Kricke fest: „Mein Problem ist nicht Masse, ist nicht Figur, sondern es ist der Raum und die Bewegung – Raum und Zeit. Ich suche der Einheit von Raum und Zeit eine Form zu geben.“

Stefan Simon weiß als Kunsthistoriker, dass es immer auf die Perspektive ankommt.

Ein informeller Dialog. Hann Trier und Norbert Kricke
bis zum 2.6.2024
Kunsthalle Schweinfurt
Rüfferstr. 4
D-97421 Schweinfurt
Tel.: +49-9721-514721
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintritt: 5 €, erm. 2,50 – 4 €
www.kunsthalle-schweinfurt.de

Text: Stefan Simon
Bild: Kunsthalle Schweinfurt
Erstveröffentlichung in kunst:art 97