Putzig? Nur auf den ersten Blick
Dieses Jahr wird es bereits zwölf Jahre her sein, dass Mike Kelley diese Welt verlassen hat. Eine Welt, die sich durch immer weiter zunehmende Kommerzialisierung und – wie viele meinen – auch Verkitschung und Verflachung auszeichnet. Umso schmerzlicher wird eine Position wie die Kelleys vermisst, die mit den Mitteln der Bildenden und der Performancekunst darin das Schöne, zumindest das ästhetisch Wertvolle und Erkenntnisbringende fand. Höchste Zeit also für eine große Mike-Kelley-Retrospektive. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 hat sich dieser Herausforderung gestellt.
Entsprechend dem Umfang der Aufgabe wagt sie sich zusammen mit mehreren großen Museen in verschiedenen europäischen Ländern an diese Herkulesaufgabe: Die Tate London ist ebenso dabei wie die Pinault Collection in Paris und das Moderna Museet in Stockholm. Kelley nähert sich in den Werken und Werkkomplexen dieser Schau grundlegenden Fragen der Kultur, des gesitteten Zusammenlebens innerhalb einer Gesellschaft, über Hervorbringungen der Kultur, die in Kirchen, Opernhäusern und Bibliotheken höchstens am Rande vorkommen.
Mit dem Motiv für das Cover der LP „Dirty“ der New Yorker Band Sonic Youth hat Kelley 1992 gar selbst zu diesen ebenso beliebten wie subversiven Bereichen der Kultur beigetragen. Gerade diese manchmal vermeintlich als Verfall der klassischen Kunst wahrgenommenen Beiträge zum kulturellen Archiv sind im akademischen Diskurs eher Randbereiche, machen aber für viele Menschen den größeren Teil ihrer kulturellen Identität aus.
Mit „Okkultismus – Heavy Metal – Superman“ wird die Ausstellung in Düsseldorf angekündigt. Die Kuratoren Catherine Wood und Fiontán Moran überschreiben die Retrospektive mit „Ghosts and Spirits“. Die lassen sich sogar wörtlich in der Schau wiederfinden. In Kelleys Performance „Day is Done“ von 2005 treten Teufelskostüme, Hexen und Vampire innerhalb des Karnevalsgeschehens auf, ein Fest, das seinerseits zu großen Teilen seine Tradition in Geisterglauben, bzw. Glauben an die Vertreibung von Geistern und auf jeden Fall außerhalb der Kirche hat. Über viele Jahrhunderte gehörten solche Bräuche in Europa zum Subversivsten, was noch geduldet war. Frühere Arbeiten Kelleys wie “More Love Hours Than Can Ever Be Repaid” von 1987 sprechen mit einfacheren Mitteln vielschichtige Fragen an.
Die Zusammenstellung von Stofftieren, handgemacht, aber erratisch und chaotisch zusammengestellt, fragen, ob sich die Mühe ihrer Herstellung gelohnt hat, ob also die Stunden liebevoller Hingabe, die darin stecken, angemessen wahrgenommen und vergolten werden. Einerseits kann darin das Problem der Aufgabenverteilung innerhalb von Familien gelesen werden, heute würde von Care-Arbeit gesprochen, andererseits klingt aber auch die Frage nach globaler Herstellung und Konsum darin an. Schätzen die verbrauchenden Weltregionen die Mühe, die herstellende Regionen in Produkte investiert haben? Man möchte sich nicht vorstellen, welche wertvollen Beiträge der viel zu früh verstorbene Mike Kelley heute leisten würde. Immerhin sein Geist hallt in der Retrospektive nach.
Der Kunsthistoriker Christian Hofmann lebt und arbeitet in den Kunstmetropolen Köln und Berlin.
Mike Kelley. Ghost and Spirit
bis zum 8.9.2024
Kunstsammlung NRW K21
Ständehausstr. 1
D-40217 Düsseldorf
Tel.: +49-211-8381204
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 14 €, erm. 5-12 €
www.kunstsammlung.de
Text: Christian Hofmann
Bild: Kunstsammlung NRW K21
Erstveröffentlichung in kunst:art 97