
Revisionen und Brüche
„Farbe ist etwas sehr Intimes. Sie löst sofort Reaktionen aus“ – so gibt die Künstlerin Katharina Grosse (* 1961 in Freiburg im Breisgau) Einblick in den schöpferischen Prozess ihrer Malerei, der zuweilen eine Form der Performance annimmt. Ungemischte Industriefarben fügen sich zu polychromen Farbschichtungen, dabei evozieren Schablonen, Risse und Schnitte sowie das kühne Überschreiten der Leinwandgrenzen optische Verflechtungen und hinterfragen Malereitraditionen unnachgiebig. Katharina Grosse verleiht ihrer Kunst eine strukturelle Offenheit, die durch das Einbeziehen von Naturmaterialien wie Ästen und Erde noch weiter ausgedehnt wird. Die von ihr bearbeiteten Bildträger sind mannigfaltig und nicht selten gewaltig, vor allem auf Oberflächen des öffentlichen Raums wachsen ihre häufig in situ ausgeführten Gemälde in den alltäglichen Lebensraum der Rezipierenden hinein.
Im Kunstmuseum Bonn wird nun der Fokus auf einen weniger typischen, aber nicht minder zentralen Aspekt ihres Œuvres gerichtet: Werke, die in ihrem Atelier entstanden sind, fächern ihr intuitives künstlerisches Konzept nicht ganz so raumgreifend und doch meist großformatig auf; rund vierzig Gemälde spannen hier den Bogen von frühen Arbeiten aus den späten 1980er-Jahren bis zu jüngsten Werken. Jene Leinwandbilder konzipierte Grosse von Anfang an parallel zu ihren In-situ-Arbeiten. So verdeutlichen sie besonders explizit die Ambiguitäten ihrer Bildsprache, durch die Erkundung des Mediums Malerei innerhalb und außerhalb historischer Strukturen, durch die simultane Nutzung künstlerischer und nicht künstlerischer Standorte.
Diese erste Ausstellung, die ihr Augenmerk so intensiv auf ihre Studioarbeiten richtet, ist gegliedert in zwei Kapiteln: „Wiederholungen, Revisionen, Neufindungen“ zeigt Werke seit den frühen 1990er-Jahren und eröffnet durch diesen weiten zeitlichen Rahmen einen Blick auf die zyklische Arbeitsweise der Künstlerin. „Risse, Brüche“ indes widmet sich den diversen Methoden, durch die Grosse die Grenzen und Konventionen der Malerei nachdrücklich aufbricht. Thema ist hier beispielsweise ihre Befragung des Verhältnisses von Kunst und Natur mittels der Verwendung natürlicher Materialien wie Erde und Ästen im Kontext zu den für ihre Werke charakteristischen Industriefarben.
Auf diese Weise wird untersucht, wie sich Grosses intuitiv-schöpferischer Prozess zum einen dadurch auszeichnet, dass in ihrem Œuvre ähnliche Formen und Arbeitsweisen beständig wiederkehren, zugleich allerdings ebenso beständige Veränderungen durchlaufen, die schließlich zu neuen Bildfindungen führen. In Bonn sind sie in direkten Bezug gesetzt zu den Beständen abstrakter Gemälde von den 1940er-Jahren bis in die Gegenwart, von Künstler*innen wie Willem de Kooning, Torkwase Dyson, Rashid Johnson und Amy Sillman. So knüpft die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Mildred Lane Kemper Museum in St. Louis (USA) und dem Kunstmuseum Bern realisiert wurde, an die Tradition des Kunstmuseum Bonn an, relevante zeitgenössische Positionen Brücken schlagen zu lassen zu der ständigen Sammlung. Und die Herausforderung von Wahrnehmung, Medien und Geschichte, die Katharina Grosses Malerei innewohnt, scheint ideal für einen solch übergreifenden Dialog.
Ninja Elisa Felske ist Kunsthistorikerin und promoviert derzeit über Pablo Picasso.
Katharina Grosse. Studio Paintings 1988–2023
25.4. – 22.9.2024
Kunstmuseum Bonn
Museumsmeile
Helmut-Kohl-Allee 2
D-53113 Bonn
Tel.: +49-228-776260
Di – So 11 – 18 Uhr, Mi 11 – 19 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 3,50 €
www.kunstmuseum-bonn.de
Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Kunstmuseum Bonn
Erstveröffentlichung in kunst:art 97