Lust und Leid des Körpers
Das Egon Schiele (1890–1918) gewidmete Personalmuseum im Geburtsort Tulln stellt in den Mittelpunkt seiner diesjährigen großen Sonderschau ein Thema, das tatsächlich für diesen Heroen der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts nicht typischer sein könnte: die Nacktheit. Oder ist der Heros hier nicht eher ein Schmerzensmann? Denn die Nacktheit ist für ihn einerseits Aufruf zur Sinnlichkeit, zur erotischen Lusterfahrung – andererseits aber auch Einfallstor für Schmerz, Leid und Ungemach jeder Art. „Nackt!“ lotet die Rolle der Darstellung des unbekleideten menschlichen Körpers im Schaffen Schieles in allen Facetten aus. Mit der eben angedeuteten Spannweite ist es dabei keineswegs genug, denn die radikale Position des Künstlers – nicht zu vergessen, unter den Bedingungen der hochgradig prüden offiziösen Moral der altösterreichischen Monarchie – blickt nicht nur auf die Sexualität, sondern schaut auch unerschrocken auf Fragen der geschlechtlichen (Selbst-)Definition. Das lässt sich nicht besonders prägnant beobachten an den zahlreichen Selbstakten Schieles: Die Grenzen zwischen Porträt und theatralischem Rollenspiel verschwimmen ständig und oft ununterscheidbar.
Für „Nackt!“ kann die Ausstellung in Tulln aus einer wichtigen Privatsammlung schöpfen, die ein so enzyklopädisches Herangehen überhaupt erst möglich machte. Viele der präsentierten Arbeiten sind bislang nur selten gezeigt worden, im Egon Schiele Museum waren sie sämtlich noch nie zu sehen.
Egon Schiele. Nackt!
17.5. – 13.10.2024
Egon Schiele Museum
Donaulände 28
A-3430 Tulln
Tel.: +43-2272-64570
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 5 €
www.schielemuseum.at
Text: Dieter Begemann
Bild: Egon Schiele Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 97