Bitterböses Rattentheater
Diese Ausstellung ist sozusagen eine Zweitauflage: Aus gutem Grund, denn als 2014 zahlreiche
Gedenkveranstaltungen an den Ersten Weltkrieg erinnerten, der ein Jahrhundert voller Gewalt einläutete,
da konnte sich wohl kaum jemand vorstellen, wie erschreckend präsent Krieg und Gewalt im öffentlichen
Leben zehn Jahre später sein würden. Die Künstlerin Deborah Sengl (* 1974) hatte sich damals, 2014,
an ein anspruchsvolles Projekt gemacht: Nichts weniger, als Karl Kraus‘ berühmt-berüchtigtes
Monsterdrama „Die Letzten Tage der Menschheit“ aufzuführen, will sagen, in einer Reihe von Dioramen
die wichtigsten Einzelszenen dieses (auf dem üblichen Theater eigentlich kaum spielbaren) Stücks
nachzustellen. Sengls Darsteller in diesem Schreckenskabinett der Eitelkeit, Machtgier und Verblendung
sind – präparierte Ratten. Dass der Mensch dem Menschen zuweilen ein Wolf ist, ist sprichwörtlich – die
Ratte als Menschen-Stellvertreter freilich macht aus der Tragödie vollends eine böse Farce. Maskeraden
übrigens, gerne mit tierischem Personal, interessieren die Künstlerin seit je.
Anlässlich des 150. Geburtstags von Karl Kraus hat Stangl nun ihre makabren Tableaus – die
Protagonisten sind dabei stets weiße, der „Beobachter“ die einzige schwarze Ratte – für das Jüdische
Museum Wien im Palais Eskeles aktualisiert: Aus aktuellem Anlass ist aus dem Untergang der
österreichischen Vorkriegswelt der „Untergang der Demokratie“ geworden. Ziemlich gruselig …
Die letzten Tage der Demokratie
19.6. – 29.9.2024
Museum Dorotheergasse
Dorotheergasse 11
A-1010 Wien
Tel.: +43-1-5350431
Mo – Fr + So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 15 €, erm. 11 – 13 €
www.jmw.at
Text: Dieter Begemann
Bild: Museum Dorotheergasse
Erstveröffentlichung in kunst:art 98