Spannendes Aufeinandertreffen
Hat sich Bertolt Brecht zwischen 1957 und 1967 stark verändert? Sein Gesicht ist schmaler und strenger geworden, so zumindest in der Zeichnung von Gustav Seitz von 1967. Der 1906 geborene Mannheimer Seitz (1906–1969) ist in erster Linie ein begnadeter Bildhauer des menschlichen Körpers, der auch Nachfolger von Edwin Scharff (1887–1955) als Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Hamburg war. Die Skulptur spricht eine andere Sprache als die Zeichnung: Da ist das Gesicht Brechts bei Seitz viel runder, die Augen aber sind geschlossen, was den Ausdruck noch rätselhafter macht. Und der Abguss von 1960? Eine schwierige Frage, wenn man noch die Zeichnung von 1967 von Gustav Seitz aus der Kunsthalle Mannheim dazunimmt.
Die Zeichnung von Bertolt Brecht aus der Feder von Edwin Scharff im Museum zeigt dagegen wieder einen anderen Brecht, diesmal jenen, der vielen aus den meisten Abbildungen bekannt ist. Scharff hat ein Blatt Papier genommen, in dem das Gesicht etwas schmaler und „literarischer“ ist – eben so, wie man sich den Dramatiker und Dichter eher vorstellt. Auch zwischen den Skulpturen, die Seitz und Scharff schufen, gibt es einen wesentlichen Unterschied: Scharff kreierte ein Werk, in dessen Zentrum noch die ästhetisierende Sichtweise dominiert. Seitz dagegen scheute sich im Laufe der förmlichen Radikalisierung seiner Arbeiten nicht, auch wenig glatte und nicht ästhetisierende Formen der Skulptur unverändert zu belassen. Zwei große Geister, ein spannendes Aufeinandertreffen.
Gustav Seitz. Figur & Empfindung
bis zum 6.1.2025
Edwin Scharff Museum
Petrusplatz 4
D-89231 Neu-Ulm
Tel.: +49-731-70502555
Di + Mi 13 – 17 Uhr, Do + Fr 13 – 18 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 5 €, erm. 4 €
www.edwinscharffmuseum.de
Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Edwin Scharff Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 100