Freund und Feind – Das Tier in der mittelalterlichen Textilkunst

24.4. – 13.11.2016 | Abegg-Stiftung

Im 13. und 14. Jahrhundert waren Stoffe mit Tierdarstellungen in Mode. Die gesellschaftliche Elite kleidete sich in gemusterte Seiden, auf denen Adler, Gazellen, Löwen, Hunde oder Pelikane zu sehen waren – oft zu phantasievollen, lebhaften kleinen Szenen zusammengefügt. Die Sonderausstellung der Abegg-Stiftung zeigt eine Auswahl dieser kostbaren Seidengewebe und untersucht die Bedeutung der Tiermotive. Was heutzutage ein Krokodil oder ein Puma auf einem T-Shirt bedeutet, wissen wir alle. Doch was bedeuteten Vögel oder Raubkatzen auf der mittelalterlichen Kleidung? Natürlich waren sie nicht das Kennzeichen einer bestimmten Marke. Das wertvolle Material und der komplexe Vorgang beim Weben bildhafter Muster machten diese Textilien allerdings zu einem begehrten Luxusgut. Aber schätzte man die Tiermotive wirklich allein wegen ihres ästhetischen Reizes und weil sie eine komplizierte Herstellung bedingten? Waren mit solchen Darstellungen nicht eher gezielte Aussagen beabsichtigt? Verkörperten die Tiere vielleicht eine weitum bekannte Symbolik oder spielten sie auf bestimmte Werte, Haltungen oder Privilegien an?

Die diesjährige Sonderausstellung der Abegg-Stiftung geht diesen Fragen nach. Ein Weg zu Antworten bietet die mittelalterliche Literatur, die von Textilien berichtet, und deren berühmte Werke, von den Metamorphosen des Ovid über Heldenromane bis hin zum Minnesang, ähnlich bekannt waren wie heutzutage zum Beispiel die Grimm’schen Märchen.

Pelikan und Panther als christliche Symbole
Eines der interessantesten Exponate ist ein Kirchengewand. Es entstand wohl in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und ist aus drei verschiedenen, zum Teil älteren Geweben gefertigt. Der Hauptstoff zeigt auf blaugrauem Grund Reihen von einander gegenüberstehenden Panther- und Pelikanpaaren. Letztere picken sich mit dem spitzen Schnabel die eigene Brust auf. Zu ihren Füssen befinden sich die hungrigen Nestlinge, die geöffneten Schnäbel gierig in die Höhe gestreckt, um das elterliche Blut zu trinken. Diese seltsame Darstellung geht auf den sogenannten Physiologus zurück, eine im zweiten Jahrhundert nach Christus verfasste Naturlehre, die bis in das späte Mittelalter weite Verbreitung erfuhr. Dort wird beschrieben, wie sich der Pelikan für seine Jungen aufopfert. In der christlichen Interpretation gilt er deshalb als Sinnbild für die selbstlose Hingabe – und somit als Symbol für Christus. Auch der Panther auf dem gleichen Stoff wurde als Sinnbild für Christus gesehen, denn der Physiologus beschreibt ihn als sanftes und friedfertiges Tier mit buntem Fell und wohlriechendem Atem, dem alle anderen Tiere folgen. Solche explizit christlich zu deutenden Gewebe scheinen auch damals selten gewesen zu sein.

Heraldische Tiere
Auf Wappen finden sich häufig Tierdarstellungen. Mit den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften stehen die Adler, Löwen oder Kraniche für das Selbstverständnis bestimmter Herrscherhäuser, Adelsfamilien und Regionen. Insbesondere bei mittelalterlichen Ritterturnieren, wenn die Kämpfenden in der Rüstung kaum zu erkennen waren, wurden die an der Rüstung angebrachten heraldischen Tiere zu symbolischen Stellvertretern der jeweiligen Person. So wird es sehr eindrücklich in Wolfram von Eschenbachs Heldenepos Parzival geschildert, wo nicht zwei Ritter, sondern ihre beiden Wappentieren gegeneinander kämpfen. Heutzutage stellt man sich Wappen in der Regel als einzelnes aufgemaltes oder angenähtes Schmuckelement vor. Dass es in jener Zeit auch Stoffe gab, die ein sich wiederholendes Muster aus Wappen, Spruchbändern und heraldischen Tieren zeigen, ist hingegen weniger bekannt. In der Ausstellung sind mehrere Beispiele derart gemusterter Textilien zu bewundern. Sie dienten – den Logos heutiger Luxusmarken vergleichbar – der öffentlichen Kommunikation und als Statussymbole. Wer sich solche Gewebe leisten konnte, sah damals wie heute seine gesellschaftliche Rolle bestätigt.

Jagd und Minne
Sehr beliebt waren auch Stoffe mit Jagdmotiven. Sie spiegelten Standesprivilegien wider: Die mittelalterliche Hochwildjagd, etwa auf Hirsche, Wildschweine, Bären, Luchse, Adler, Kraniche oder Fasane, war ein Recht  der Herrschaft. Es ging dabei nicht so sehr um die Nahrungsbeschaffung, sondern vor allem um einen privilegierten Zeitvertreib. Wie in der Ausstellung zu sehen ist, fügen sich Darstellungen einander jagender Tiere oder solcher, die von einem Jäger erlegt werden, oft zu kleinen Erzählungen. Auch Stoffmuster mit springenden Hunden und an Ästen baumelnden Hörnern erinnern an das Jagdgeschehen.

Ein weiteres zentrales Thema jener Ära ist die Minne. In der zeitgenössischen Dichtung nimmt dieses Konzept der höfischen Liebe einen entsprechend grossen Raum ein. Die Texte bieten sozusagen den Idealentwurf der adeligen Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Auch diese schriftlichen Quellen fanden Eingang in die Gestaltung der Stoffmuster: Ein gern verwendetes Motiv war die von kläffenden Hunden umstandene Burg als Symbol der behüteten Minne.

Vom Tiermotiv zum Rankenornament
Den Abschluss der Ausstellung bildet eine Tapisserie, die im späten 15. Jahrhundert entstand. Sie zeigt ein vornehmes Paar beim Schachspiel. Es trägt Gewänder aus reich gemusterten Stoffen, allerdings finden sich keine Tiere darauf. Lange Zeit prägte der höfische Roman mit den zentralen Themen «Jagd» und «Minne» den adeligen Verhaltenskodex. Im ausgehenden Mittelalter bestimmte jedoch mehr und mehr die Allegorie des Schachspiels, dessen Figuren nur gemäss klaren Gesetzen und Regeln agieren können, das Verhältnis der Geschlechter und der Stände untereinander. Im Laufe dieser Entwicklung wurden auch die Tiermotive auf den kostbaren Gewändern durch ornamentale Ranken ersetzt. Die Tapisserie illustriert somit sowohl die Veränderungen im adeligen Gesellschaftsideal wie auch jene in den Textilmustern.

Wer sich näher mit den literarischen Quellen beschäftigen und auch einmal Mittelhochdeutsch oder Altfranzösisch hören möchte, dem sei die Ausleihe eines der Audiogeräte empfohlen, welche die Abegg-Stiftung zur Verfügung stellt. Anhand von originalen Textausschnitten und kommentierten Übersetzungen bieten sie die Möglichkeit, beim Betrachten der kostbaren Stoffe tiefer in die Gedankenwelt des Mittelalters einzutauchen und mehr über die damaligen «Bestseller» der Literatur zu erfahren.

Text: Abegg-Stiftung | Foto: Abegg-Stiftung
Externer Link: Abegg-Stiftung

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