Einkehr und Vertiefung

bis zum 31.10.2022 | Nolde Stiftung Seebüll

Emil Nolde, Liegender Akt, 1901, © Nolde Stiftung Seebüll

Um die Person des Künstlers Emil Nolde gab es bekanntlich unlängst einige Aufregung, seine Haltung vor allem zum Nationalsozialismus erwies sich als diskussionsbedürftig. Und auch in der Nolde-Stiftung: Hier aber, im ehemaligen Künstlerhaus im friesischen Seebüll, war es der unvermeidliche Lärm von Bauarbeiten, der für Ruhestörung sorgte. Mit gutem Ende, denn die denkmalgerechte Sanierung des historischen Baus, einer gedanklichen Schnittstelle von nüchternem Neuem Bauen in der Bauhausnachfolge und verträumt eremitischer Künstlerklause, ist nun auf der Zielgeraden angekommen. Coronabedingt hatte sich das Bauvorhaben zwar in die Länge gezogen, Materialengpässe und überraschende Preissteigerungen sorgten für Verdruss. Im kommenden Sommer aber kann das einstige Wohn- und Arbeitshaus von Ada und Emil Nolde seine Türen wieder für Besucher öffnen, die anhand einer Dokumentation die Sanierung nachvollziehen können. Vor allem aber sind die Räume in dieser Saison als „Architektur pur“ zu erleben: Die Rückkehr der im Haus wieder auszustellenden Kunstwerke ist erst für 2023 angedacht, wenn die rundum erneuerte Technik ihr einwandfreies Funktionieren bewiesen hat.

Ein Besuch in Nolde-Haus muss aber auch 2022 keineswegs ohne Kunst auskommen, im Gegenteil, die 66. Jahresausstellung der das Haus tragenden Nolde-Stiftung lädt ein in „Stille Welten“. Vielleicht nach all den erwähnten Aufregungen eine kleine Aufforderung zur Rückbesinnung auf das künstlerische Werk … Eindringliche Porträts sind zu sehen, harmonische Stillleben, träumerische Landschaften und immer wieder das Meer, dessen ruhige Oberfläche ungeahnte Tiefen verbirgt. Mit einem Wort, der Expressionist begegnet uns hier als Romantiker. Das innere Band, das die Werke aus allen Schaffensperioden des Künstlers verbindet, ist, bei aller Ruhe der Kompositionen, doch ein leidenschaftlich glühendes: Es ist die Farbe, ihr Leuchten, ihre Schwingungen, ihr Jauchzen, ihre Abgründe. „Die Farbe leitete mich“, so drückte es der Künstler gerne voller Emphase aus und meinte damit wohl vor allem, dass er sich, bei aller Subjektivität der künstlerischen Position, doch auch als Sprachrohr außer-individueller Kräfte verstand, die er im Herzen der Schöpfung zu spüren meinte – und bei allem Göttlichen schließt dies auch das Dunkle, das Leiden ein.

Da wäre denn möglicherweise auch die Überleitung zu einem selten gezeigten Werk zu suchen, das einen zentralen Platz in der diesjährigen Jahresausstellung innehat. „Martyrium“ scheint zunächst in der Reihe der christlichen Themen zu stehen, die Nolde seit etwa 1910 immer wieder beschäftigen. Aber anders als beim „Leben Christi“, das konventionell stationenhaft erzählt wird, wählt Nolde 1921 für „Martyrium“, durchaus ungewöhnlich, die Bildform des Triptychons. In archaisierender, fast karikaturhaft vereinfachter Manier auf grobe Leinwand gemalt, scheint das Leiden hier das letzte Wort zu behalten, der Christus des Mittelbildes verschwindet hinter den feixenden Zuschauern.

 

66. Jahresausstellung 2022
Emil Nolde – Stille Welten
bis zum 31.10.2022
Nolde Stiftung Seebüll
Seebüll 31
D-25927 Neukirchen
Tel.: +49-4664-983930
Mo – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 3 €
www.nolde-stiftung.de

Text: Dieter Begemann
Bild: Emil Nolde-Stille Welten
Erstveröffentlichung in kunst:art 85

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Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!