Die vielen Ausdrucksformen des Papiers – Made of Paper im Museum Ritter
Die Nutzung von Papier in der bildenden Kunst war über Jahrhunderte hinweg fest determiniert. Bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts kam dem Papier ausschließlich eine dienende Funktion zu. Für Zeichnungen, Grafiken und flüchtige Malereien war es Trägermaterial. Als autonomer Werkstoff wurde das Material jedoch spätestens seit den Collagen von Alexander Rodtschenko und Kurt Schwitters etabliert. Schwitters zusammengeklebtes Kunstwerk „Isaschar“ (1934) aus Zeitungsfragmenten bildet nun auch den historischen Ausgangspunkt der überaus facettenreichen Präsentation „Made of Paper“ im Museum Ritter.
Eine Überblicksschau, die mit Violetta Elisa Seligers Schatten werfendem Raster aus Papier, einer zeitgenössischen Interpretation der Jahrhunderte alten Kulturtechnik des Scherenschnitts, eine ganz aktuelle Position besetzt. Die große Bandbreite der rund sechzig Sammlungsexponate zeigt unmissverständlich: Es geht dabei um Arbeiten aus Papier, nicht auf Papier. Die Materialität beinhaltet eine schier grenzenlose Vielfalt im Umgang: schöpfen, falten, abformen, schneiden, zerstören, zerknüllen, prägen.
Papier ist ein ebenso vielseitiger wie geduldiger Werkstoff. Zuweilen ist seine Farbigkeit naturbelassen, meist aber sind die Fasern gebleicht, manchmal auch eingefärbt. Oft ist es fragil und verletzlich, in Form von Pappe hingegen stabil und steif, sodass feine Reliefs und skulpturale Werke daraus entstehen. Diese vielfältigen Möglichkeiten der Gestaltung demonstriert die Ausstellung anhand herausragender Werke, die direkt spezifische Intentionen und Strategien reflektieren. Die präsentierten Kunstwerke sind trotz ihrer Unterschiedlichkeit durch die Materialkonnotationen des Papiers verbunden. Bis heute bleibt die Frage aktuell, aus welchen formalen wie inhaltlichen Gründen sich Künstler für das traditionsreiche Papier als skulpturales künstlerisches Material entscheiden.
So stapelt etwa Thomas Rentmeister in seiner 2004 entstandenen Arbeit etliche Packungen von Papiertaschentüchern zu einem monumentalen Quader. Thomas Bayrles Werk „Sandwerfer (Zeichen für Epoche)“, 2005/2010, liefert gleich eine Bildergeschichte. Das reliefartig in den Raum greifende Werk besteht aus einem quadratischen Kartongeflecht, das mit einem Foto der Mao-Zeit aus einem chinesischen Propagandaheft bedruckt ist. Es zeigt Menschen auf einem Hügel, die damit beschäftigt sind, Sand zu schaufeln. Daneben gibt es Lore Berts aus Japanpapier bestehendes Multiple-Objekt „Lotusblüte“ (2020), die Zellstoffmalerei „Drehmoment“ (2018) von Katja Strunz, Peter Webers konstruktives, monochromes Relief „2 Rechtecke“ (2009) und Hermann Glöckners mit Tempera bemalte Papierfaltung „Dreieckige Erhebungen auf Rot“ von 1974 zu entdecken. Beim Thema Prägedruck kommt man selbstverständlich an Günther Uecker nicht vorbei. Seine „Spirale“ aus dem Jahr 2010 lassen sein Markenzeichen, die Nägel, erkennen. Bedrucktes, zerknittertes Papier, verstärkt mit Epoxidharz, ist schließlich Esther Stockers Material für ihre Objekte, mit denen sie souverän einen ganzen Raum bespielt.
Made of Paper
15.10.2023 – 7.4.2024
Museum Ritter
Alfred-Ritter-Str. 27
D-71111 Waldenbuch
Tel.: +49-7157-535110
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 4 €
www.museum-ritter.de
Text: Stefan Simon
Bild: Museum Ritter
Erstveröffentlichung in kunst:art 94