Feinfühlig und gehaltvoll
Susan Sontag schrieb einst sinngemäß: Unter der Fotografen-Schar befinden sich Wissenschaftler und Moralisten. Die Wissenschaftler widmen sich der Bestandsaufnahme der Welt, die Moralisten hingegen konzentrieren sich auf die schwierigen Fälle. Die Arbeiten des 1977 in Esslingen geborenen Toby Binder sind beides, changieren zwischen Sozialkritik und Bestandsaufnahme. Perspektivlosigkeit und Sinnlosigkeit, Armut, Einsamkeit und Krankheit dokumentieren seine Aufnahmen von Nachkriegsszenerien und Krisensituationen in Nordirland, Schottland, Bolivien oder hierzulande in Duisburg-Hochfeld und dem Friedensdorf International in Oberhausen – und mittendrin die darin gebannten Menschen. Seine Arbeiten präsentieren eine Welt wie aus zweiter Hand, in der wir doch alle gemeinsam leben, aber nicht alles gemeinsam erleben. Sensibel und nicht auf Schockmomente aus zeigt er die Schattenseiten und sozialen Missstände auf. Oft sind es junge Menschen, die Binder fotografiert – stets in Schwarz-Weiß, mit einer durch Low-Key-Effekte erzeugten, eindringlich düsteren Stimmung.
Seine nordirischen Mistkerle der Serie „Wee Muckers – Youth of Belfast“ sind 2019 in seinem ersten Fotobuch erschienen und nun auch in der Ausstellung „Where’s my place?“ in der Galerie Clara Maria Sels zu sehen. Absolut sehenswert, denn dass ein Bild oft mehr vermag als 1.500 Zeichen, beweisen Binders Sozialreportagen – offenherzig, authentisch, schnörkellos und überaus empathisch.
Toby Binder
Where’s my place?
17.05. – 05.07.2024
Galerie Clara Maria Sels
Poststr. 3
D-40213 Düsseldorf
Tel.: +49-211-328020
Di – Fr 15 – 18:30 Uhr, Sa 12 – 15 Uhr
Eintritt frei
www.galerie-claramariasels.de
Text: Dr. Denise Susnja
Bild: Galerie Clara Maria Sels
Erstveröffentlichung in kunst:art 97