50 künstlerische Positionen rund um das Smartphone in der Tutsek Stiftung

bis zum 31.10.2024 I Alexander Tutsek Stiftung

Julija Pociūtė, Stability, 2014

Das Smartphone als Gamechanger der Neuzeit

Jahrtausende lang hat die Evolution dem Menschen den aufrechten Gang beigebracht, das Smartphone bringt diese Errungenschaft in nur wenigen Jahren zum Stoppen und kehrt die Entwicklung um. Kennzeichen des Homo Digitalis ist der gekrümmte Rücken mit fatalen Folgen: Wer ständig aufs Handy guckt, hat es früher oder später im Nacken. Mediziner haben sogar einen Begriff dafür: „Handy-Nacken“.

Im Zug, im Supermarkt, in der Arztpraxis, beim Wandern und beim Joggen – wohin man blickt und sich bewegt, das Smartphone ist der treue Begleiter. Julian Opie hat dieses Zeitphänomen mit seiner auf die Konturen reduzierten Email-Figur in der Münchner Tutsek Stiftung treffend charakterisiert. Seit seiner Erfindung im Jahr 2007 hat das Smartphone unsere Kommunikation und Mediennutzung revolutioniert. Und ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens. Tatsächlich hat man mit diesem interaktiven Mini-Computer die ganze Welt in der Hand. Zumindest denkt man es, wie man in der Ausstellung „The World in my Hand“ erfahren kann.

Der Gamechanger der Neuzeit fördert Kommunikation und gleichzeitig wird sie beim Gebrauch behindert. Fast zwei Jahrzehnte nach dieser alles verändernden technologischen Neuerung fragt die Ausstellung nach den Spuren des Smartphones in der zeitgenössischen Kunst. Rund fünfzig Werke, vorrangig Skulpturen aus Glas und zeitgenössische Fotografie, von 35 Künstlern sind in der BlackBox zu sehen. Einige der vertretenen Künstler sind weltbekannt wie Erwin Eisch, Karin Sander, Cornelia Parker, Edward Burtynsky, Ai Weiwei oder Julian Opie. An die verstorbene Lichtkünstlerin wird mit einer mit dem iPhone aufgenommenen Langzeitbelichtung erinnert.

Die beiden Kuratoren, Jörg Garbrecht und Katharina Wenkler, beziehen keine Stellung bezüglich der Handynutzung. Die Schau ist vielmehr eine Bestandsaufnahme, die die verschiedenen Aspekte und Debatten rund um das Smartphone in acht Kapiteln mit einem erzählerischen Ansatz zusammenfasst. Die Bilder berichten auch von ganz persönlichen Erfahrungsmomenten: Ai Weiwei hat ein Selfie im Augenblick seiner Festnahme geschossen und Sergey Melnitchenko hat seinen Sohn während eines Blackouts in Kiew fotografiert.

Das Thema Selbstinszenierung kommt in Julija Pociūtės Skulptur „Stability“ aus gläsernen Handydisplays zum Tragen. Thematisiert wird die Sehnsucht nach Liebe wie etwa bei Ariane Forkels „Casanovas Kabinett“ oder John Yuyis „Tinder Match“. Während der pandemiebedingten Isolation erlangt das Smartphone den Rang eines existentiell wichtigen Kommunikationsmittels, wie in den Arbeiten von George McLeod anschaulich dokumentiert. Hochästhetisch erscheinen die Farbfelder in ihrem Hellgrün und Türkis. Tatsächlich geht es in Edward Burtynskys Fotografie der Lithium-Minen in der Atacama-Wüste um das Thema Rohstoff und dessen Begleiterscheinungen für die Umwelt. Zuweilen macht es die Gestik aus: Auch wenn das Smartphone erst gar nicht in Erscheinung tritt, wird es vom Betrachter automatisch aus dem Bildgedächtnis geholt und in die leere Hand von Aram Bartholls Aufnahme „Isolated On White“ gelegt.

Stefan Simon weiß als Kunsthistoriker, dass es immer auch auf die Perspektive ankommt.

The World in My Hand
bis zum 31.10.2024
Alexander Tutsek Stiftung
BlackBox
Georg-Muche-Str. 4
D-80807 München
Tel.: +49-89-55273060
Mo – Do + So 12 – 18 Uhr
www.atstiftung.de

Text: Stefan Simon
Bild: Alexander Tutsek Stiftung
Erstveröffentlichung in kunst:art 98