Die Grenzgängerin
In der Domäne der Kunst kam es immer mal wieder vor, dass diese neue natürliche Strukturen entdeckte, deren Existenz dann später in den Wissenschaften (vor allem im Bereich der Biowissenschaften) bestätigt wurde. Diesen Weg hat beispielsweise auch der früh verstorbene Heidelberger Künstler Christian Adam beschritten, dessen verschiedene Abbildungen von pflanzlichen Prozessen im Nachgang als wissenschaftlich gültige Wiedergaben charakterisiert wurden. Eine ganz ähnliche künstlerische Wiedergabe findet sich bei der in Köln arbeitenden Künstlerin Brigitta Weimer – in „Cellular Circulation“, einer Arbeit von 2015.
Brigitta Weimer ist Ethnologin, Anthropologin und Absolventin der freien Kunst an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Ihr bildhauerisches Werk ist nicht auf das Gebiet der Biowissenschaften begrenzt – wie eben in Cellular Circulation –, sondern umfasst daneben auch den Bereich der Physik, Anthropologie, Philosophie und Humanwissenschaften, dazu die Ökologie, die in einigen Arbeiten dominiert. Es sind zuweilen sehr minimalistische Arbeiten, gepaart mit einer sehr strengen inneren Organisation, wie etwa bei einigen Molekülstrukturen pflanzlicher Elemente. Solch eine breite Palette von möglichen Ausdrucksformen wäre nicht möglich ohne die Verwendung verschiedener Materialien, die den skulpturalen Charakter unterstreichen, wie zum Beispiel Silikon, Stahl, Glas, Spiegel, Kunststoff oder Vinylschläuche.
Spannend ist, dass diese Ausstellung im schönen Museum Ritter in Waldenbuch gezeigt wird, das eigentlich ausschließlich der geometrischen Kunst gewidmet ist und im September nächsten Jahres sein 20-jähriges Jubiläum feiert: Die geometrisch abstrakte Kunst, die das Museum in dieser Zeit in zahlreichen Ausstellungen präsentiert hat, sowie die etwa 1.200 Gemälde, Objekte, grafischen Arbeiten und Skulpturen, die den Sammlungsbestand bilden, lassen auf den ersten Blick eine Ausstellung wie von Brigitta Weimer ungewöhnlich erschienen. Doch die meisten ihrer Objekte haben ein Quadrat als Basis, strikt eingehalten zum Beispiel auch in ihren farbigen Glaskästen Mindscapes Growing (2022), in denen sich Abbildungen physiologischer Prozesse finden.
Brigitta Weimers Ziel ist „eine Neuformulierung des Menschenbildes und unseres Naturverständnisses“, um eine „Poetik der dritten Natur“ zu erreichen. Die Verwendung der unterschiedlichen Materialien, zu denen auch Wasser, Öl, Wachs, Körner und Gummi zählen, definiert zugleich die Fülle der künstlerischen Ansätze. In der neuesten Zeit kommt auch das künstliche und das natürliche Licht dazu, genauso wie die Transluzenz verschiedener Materialien. Und zu guter Letzt die Computeranimationen von vielschichtigen Arbeiten auf Transparentpapier. Hier spielt darüber hinaus das Element Zeit eine Rolle – und dies kann man als eine vierte Dimension gelten lassen.
Dr. Milan Chlumsky promovierte an der Pariser Sorbonne über Ästhetik und den tschechischen Poetismus.
Birgitta Weimer. Connectedness
13.10.2024 – 21.4.2025
Museum Ritter
Alfred-Ritter-Str. 27
D-71111 Waldenbuch
Tel.: +49-7157-535110
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 4 €
www.museum-ritter.de
Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Museum Ritter
Erstveröffentlichung in kunst:art 99