Einzigartigkeit, Unangepasstheit und Diversität
„Art Brut“ ist die Bezeichnung des Künstlers Jean Dubuffet für diese rohe, unverfälschte Kunst, die überwiegend von Autodidakten, oftmals in psychiatrischen Kontexten, geschaffen wird. Und das unbeeinflusst vom Geschmack aktueller Kunst-Trends und ungehindert von den Bologna-Erfordernissen der Kunstuniversitäten, nur den jeweiligen „individuellen Mythologien“ (Harald Szeemann) verpflichtet. Oder in den Worten des Künstlers und Art-Brut-Sammlers Arnulf Rainers: „Art Brut hat es immer gegeben, es ist nur nicht beachtet worden“.
Dass diese unangepasste Kunstform mit ihren extrem individualisierten Formensprachen dennoch einem breiterem Publikum, wie nun in Aschaffenburg, zugänglich gemacht wird, liegt an Sammlerinnen wie Hannah Rieger, die in Wien und im Weinviertel in Niederösterreich lebt. Ihre seit 1991 zusammengetragene Sammlung umfasst rund 550 Arbeiten. Den Ausgangspunkt bildet Kunst aus Gugging, der österreichischen Art-Brut-Künstlergemeinschaft. Dieses ursprüngliche Männermodell ist inzwischen aus der Psychiatrie ausgegliedert und in eine moderne Institution mit Kunstproduktion, Museum und Galerie transformiert. Der Rest ihrer Sammlung besteht aus internationalen Positionen mit einem Frauenschwerpunkt. Riegers Anliegen ist die Entstigmatisierung der Art Brut im Feld der akademischen zeitgenössischen Kunst. Im Zusammenspiel der 72 Werke von 44 Kunstschaffenden, die ihre Unangepasstheit und Diversität verbindet, schafft die Präsentation einen Raum im Sinne eines geschützten Biotops.
Biotop Art Brut. Werke aus der Sammlung Hannah Rieger
28.9.2024 – 9.2.2025
Kunsthalle Jesuitenkirche
Pfaffengasse 26
D-63739 Aschaffenburg
Tel.: +49-6021-38674500
Di 10 – 20 Uhr, Mi – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 5 €, erm. 3,50 €
www.museen-aschaffenburg.de/Kunsthalle-Jesuitenkirche
Text: Stefan Simon
Bild: Kunsthalle Jesuitenkirche
Erstveröffentlichung in kunst:art 99