Der Süßwarenladen: Das neue Wiener Aktionismus Museum

15.3.2024 – 31.1.2025 I Wiener Aktionismus Museum

Hermann Nitsch, 4. Aktion, 1963

Privatmuseum widmet sich dem kunsthistorischen Kapitel des Wiener Aktionismus

Jüngst starb der letzte Wiener Aktionist, Günter Brus. Damit endet das kunsthistorische Kapitel einer der radikalsten und innovativsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts. Eine Privatinitiative ist nun angetreten, einer breiteren Öffentlichkeit zu erklären, was es mit dieser Kunstströmung auf sich hat. Dabei erinnert das äußerliche Museums-Branding in Wiens erstem Bezirk in Bonbonfarben  an einen Süßwarenladen der besonderen Art. Besucher dürfen sich über die von Reza Akhavan, Jürgen Boden, Daniel Jelitzka, Philipp Konzett, Dirk Ströer und Christian Winkler erworbenen Werke und Artefakte freuen. Denn öffnet man die Türen zum Süßwarenladen, treffen Besucher unvorbereitet auf lebendige Erinnerungen der 1960er-Jahre.   

Schläge wurden verteilt. Ein Künstler entblößte und ritzte sich, man urinierte in Gläser, beschmierte sich mit Schmutz und onanierte auf Österreichs Flagge. Währenddessen ertönte Musik, unter anderem die Nationalhymne; einer las pornografische Texte vor. Wien, Ende der Sechziger. Was in den Wohnungen und Ateliers der Künstler begonnen hatte, wurde nun auf die große Bühne gehoben und führte zum öffentlichen Tabubruch. Am 7. Juni 1968 wohnten 500 Zuschauer der Performance »Kunst und Revolution« in einem Hörsaal der Universität bei. Ganz Wien ereiferte sich über die »Uni-Ferkelei«. Der Frontalangriff auf die bürgerliche Gesellschaft, die damals von Gegenwartskunst ohnehin meist nicht viel hielt, brachte den Künstlern vor allem eines: die erwünschte Bekanntheit.

Ganz bewusst suchte der Wiener Aktionismus in seiner heißen Phase von 1962 bis 1970 die Konfrontation mit der staatlichen und kirchlichen Autorität. Der Staat antwortete auf die Uni-Performance mit Gefängnisstrafen für Günter Brus, Otto Muehl und Oswald Wiener. Auch Peter Weibel, zuletzt verstorbener Chef des Medienkunstzentrums ZKM in Karlsruhe, war bei „Kunst und Revolution“ dabei und gab letztlich dem »Wiener Aktionismus« seinen Namen. Nach der amerikanischen Happening-Kunst und der Verbreitung von Fluxus schlugen die Österreicher Brus und Muehl sowie Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler ein neues Kapitel der Kunstgeschichte auf. Es entstand ein anderes Verständnis von Kunst: »Kunst ist, wenn man das durchsteht, was einem die Gesellschaft abräht«, wie Brus einmal in seiner Sammlung „Theoretischer Poesien“ sagte.

Seit den Fünfzigerjahren hatte ein verbreitetes Gefühl von der Wirkungslosigkeit der modernen Kunst viele Künstler dazu gebracht, nach neuen, radikalen Wegen zu suchen. Den Aktionisten der ersten Stunde folgten mit ihnen verbundene, befreundete Künstler wie Kurt Kren oder Valie Export, die heute als sogenannte zweite Generation im Wiener Aktionismus gelten. Sie haben zur weiteren Transformation dieser Strömung erheblich beigetragen. Neben Malerei, Collagen, Filmen, Fotografien, Grafiken und Aktionsrequisiten wurden von allen Beteiligten oft auch Skizzen und Künstlerbücher gefertigt. Diese Relikte sind entscheidend, um die damalige Zeit zu begreifen.

Das Wiener Aktionismus Museum zeigt viel davon. Die Sammlung mit bedeutenden Schlüsselwerken ist einzigartig. Der Wiener Aktionismus verdient eine Weltöffentlichkeit.  

Was ist Wiener Aktionismus?
15.3.2024 – 31.1.2025
Wiener Aktionismus Museum
Weihburggasse 26
A-1010 Wien
Tel.: +43-1-3535070
Mi – So 11 – 18 Uhr, Do 11 — 20:30 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 3,50 €
www.wieneraktionismus.at

Text: Sebastian C. Strenger
Bild: Wiener Aktionismus Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 96