Artland Heartland | „2=1“

Robert Wilson inszeniert eine „Ausstellung“ und reflektiert damit sein künstlerisches Vorgehen

Ausstellungsansicht © Max Ernst Museum Brühl des LVR / Lucie Jansch

 

Es ist die Figur Max Ernst, die noch immer über genügend Ausstrahlungskraft verfügt, um bedeutende Künstlerpersönlichkeiten anzuziehen. Nachdem David Lynch und Tim Burton in den vergangenen Jahren das Max Ernst Museum Brühl des LVR mit ihren Ausstellungen transformierten, hat nun der bereits legendäre Theater- und Opernregisseur sowie bildende Künstler Robert Wilson seinen Kosmos entfaltet. Ursprünglich angelockt von der Inspirationssuche an Max Ernsts Geburtsort, kehrt Wilson mit 400 Objekten aus seiner eigenen Sammlung nach Brühl zurück und verwandelt die Sonderausstellungsfläche. Fragt sich nur: in was?

Robert Wilson beim Aufbau der Ausstellung © Max Ernst Museum Brühl des LVR / Lucie Jansch

Wilson ist ein Sammler. Insgesamt sollen es um die 11.000 Objekte sein, mit denen er lebt und arbeitet; aufgeteilt auf sein New Yorker Apartment und das Watermill Center, eine Kreativwerkstatt, die er 1992 auf Long Island gegründet hat. In den vergangenen Jahren hat er diese Objekte immer wieder für Ausstellungen genutzt. Unter dem Titel The Hat Makes The Man (ein Zitat des Werktitels einer Dada-Arbeit Max Ernsts), sind nun Objekte und Klänge in Brühl verteilt. Wilsons Ausstellung ist wie sein Theater: effektvoll und auf Kontraste bedacht, jenseitig und entgegen einer Überschneidung von Kunst und Leben: Die Künstlichkeit der Situation ist immer gesetzt.

Interessanterweise ist auch die (Presse)Rede von Robert Wilson nach dieser Fasson. Wie eine liturgische Handlung aufgebaut, beginnt sie mit einem langen Moment der Stille, der wirklich wunderbar befreiend wirkt. Danach erklärt der Meister sein Konzept von „Ausgangspunkten und Unvorherbestimmtheit“, gespickt mit Anekdoten, welche Erlebnisse seine künstlerische Entwicklung prägten (wie die Adoption des taubstummen farbigen Jungen Raymond Andrews Ende der 1960er Jahre, der zum Ausgangspunkt für seinen ersten großen Bühnenerflog Deafman Glance wird). Jedes Wort ist effektvoll abgestimmt, dazu kommen gelegentliche Schreie und Geschichten von seinen Begegnungen mit Max Ernst.

Die Ausstellung selbst ist ein theatrales Amalgam aus Licht, Dunkelheit, Sound und Objekten. Als Schlüssel zum Verständnis soll die Formel „2=1“ dienen. Damit ist wohl hauptsächlich ein Zusammenführen von zwei für uns zu oft getrennten Entitäten gemeint, wie beispielsweise „Mind“ und „Body“, um aus deren Vereinigung heraus zu denken. Während Wilson erklärt, dass er sich die Gesamtinstallation zunächst visuell vorstellen muss und erst anschließend die Geräuschkulisse entwickeln kann, damit seine Sinne nicht der Überforderung anheimfallen, wird die Besucherin oder der Besucher genau in diese Situation geworfen. Sehen und Hören existieren in einer Dualität und Wilson zielt auf die Zusammenführung wie bei einem Kontrapunkt ab, oder anders ausgedrückt: „2=1“.

Ausstellungsansicht © Max Ernst Museum Brühl des LVR / Lucie Jansch

Die Objekte stammen aus den verschiedensten Kulturräumen und Zeiten, darüber hinaus ist ihr Hintergrund vollkommen unterschiedlich: Es sind Kunstwerke und Artefakte von Verehrten oder Mitstreitern, wie René Magritte, Donald Judd, John Cage oder Agnes Martin, und auch unbekanntere zeitgenössische Künstler. Archäologische Funde (das älteste Objekt ist ca. 2800 Jahre alt) sind neben Kultgegenständen wie Masken, Totems oder Fetischen aus Madagaskar, Polynesien oder Neuseeland ausgestellt, ebenso wie Plastik-Nippes aus Kambodscha, also ganz profane Konsumgegenstände. Ergänzt wird das Ensemble durch Gegenstände vom Flohmarkt, die Figur eines kleinen Kunststoff-Lämmleins hat Wilson gerade ernst neu erworben. Hinzu kommt immer wieder die Figur des Vogels: Ob als zeitgenössisches Kunstwerk, als rituelle Holzskulptur, ausgestopftes Exemplar, im Videoporträt einer Schneeeule (KOOL, Snowy Owl 2006) oder als Aufdruck auf einem Plastikbecher – sogar von der Decke hängen einige blaue Exemplare. Als wohlwollende Hommage an Ernsts surrealistische Identifikationsfigur Loplop verbreitet auch Wilson viel Gefieder.

Ausstellungsansicht © Max Ernst Museum Brühl des LVR / Lucie Jansch

Eine besondere Vorliebe scheint Robert Wilson für die rituellen Gegenstände der Inuit und Yupik zu haben, die er jedoch weiterhin als „Eskimos“ bezeichnet. Nicht nur bei deren Jagdmasken, sondern ebenso bei den weiteren Kultgegenständen, leuchten aktuelle Debatten wie der Umgang mit dem kolonialen Erbe und der Restitution grell auf. Nachdem Frankreich angekündigt hat, Voraussetzungen für die Rückgaben von Raubgut innerhalb von fünf Jahren zu schaffen, ist auch die deutsche Bundesregierung unter Zugzwang. Neben der Aufarbeitung des Kolonialismus, wie es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, wurde jüngst ein „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ herausgegeben. Problematisch ist, dass die Restitution im Rahmen des Rechtsanspruchs passieren soll und der ist bekanntermaßen lasch – nicht nur wegen des Humboldt Forums in Berlin wird das Thema aktuell bleiben. Dass diese Debatten auch einen amerikanischen Privatsammler wie Wilson erreicht haben, bestätigt sein Registrar, der die gesamten 11.000 Objekte verwalten muss. Ihm ist es auch aufgelegt, eine Provienenzrecherche zu machen, wenn sein Arbeitgeber erneut etwas gekauft hat.

Ausstellungsansicht © Max Ernst Museum Brühl des LVR / Lucie Jansch

Die Objekte im Ausstellungsraum sind zu Gruppen arrangiert, die teilweise auf Ähnlichkeit aufbauen, sei sie formell oder inhaltlich, gleichzeitig aber durchbrochen wird von einem kontrastierenden Element (wie beispielsweise auf einem runden, zweiteilige Sockel Masken und Keramikschalen in geerdeten Farben und ein Plastik-Leoparden-Rettungsauto). Eine Interpretation als Wunderkammer oder Kuriositätenkabinett ist dabei verlockend, wird jedoch dieser spezifischen Ausstellung als Medium in keinerlei Weise gerecht. Das in der Renaissance wiederentdeckte theatrum mundi ließ die Wunderkammern als Sammlungen entstehen, die vor allem Besitz darstellen sollten. Ein Fürst oder Edelmann konnte damit seine Feinsinnigkeit, wie seinen Reichtum zeigen. Die Objekte wurden mit pseudowissenschaftlicher Attitüde präsentiert, sollten jedoch exotistisch „verwundern“. Wilsons Ansatz folgt eher einer groß angelegten Collage für alle Sinne nach dem surrealistischen Prinzip der Kombinatorik. Vorauszusetzen, dass der Surrealismus in seiner Herangehensweise einen nachrangigen Einfluss hat, wäre in einem zu kleinen Maßstab gedacht. Offensichtlich sind die einzelnen Objekte in ihre Nachbarschaft eingebunden und nicht im scharfen Kontrast (wie der Hummer als Telefonhörer), eher kann der gesamte Ausstellungsraum als surrealistische Einheit betrachtet werden. Dazu kommen die sich miteinander vermischenden Soundquellen, ebenso wie der frisch verlegte Teppich und die Lichtführung, die gemeinsam ein Ambiente formen. Der Ausstellungsraum ist ein (Gesamt)Medium und jedes Element darin nur ein Aspekt der Collage. Es scheint sinnfällig, die Zusammenführung als „Inszenierung“ des Künstlers Robert Wilson zu sehen, der mit seinem Material (von ihm gesammelte Objekte und Kunstwerke, Geräusche, Musik, Licht und Schatten) ein Werk erschafft: Nicht nur „2=1“, sondern „Alles=1“.

Würde der Besucher in Erwartung einer Kunstausstellung das Museum betreten, wäre die Vereinzelung der Objekte zu sehr betont, entsprechend verhält es sich mit dem Vorläufer der Kunstausstellung, der Wunderkammer. Möglichst viele ausgefallene Objekte in einem Raum zu zeigen, ist nicht Wilsons Vorgehen. Geboten wird eine audiovisuelle Komposition, durch die man sich, im Gegensatz zu den festen Sitzplätzen im Theatersaal, frei hindurchbewegen kann.

 

 

Robert Wilson – The Hat Makes The Man

13. Mai – 26. August 2018

 

Max Ernst Museum Brühl des LVR

Comesstraße 42 / Max-Ernst-Allee 1
50321 Brühl (Rheinland)
Tel.: +49 (0) 22 32 57 93 0
Fax +49 (0) 22 32 57 93 130

www.maxernstmuseum.lvr.de

Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag, 11 – 18 Uhr

 

 

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