
Wie romantisch!
„Mondnacht, Gebirge, Ströme, Klüfte usw. lassen uns theils in lieblichen Bildern einen zarten, geheimen Sinn ahnen, theils erfüllen sie uns mit wunderbarem Schauer“, so definierte der Dichter Ludwig Uhland 1807 eine Kunstströmung, zu deren populärsten Vertretern er gehörte: die Romantik. Schon damals, als sie entstand, so um 1800 herum, war die Romantik kein eigentlicher Stil, sie entwickelte keine spezifische Formensprache. In der Bildenden Kunst nicht und in der Literatur, wo sie ihren Ursprung hatte, ebenso wenig. Was ist dann Romantik? Man könnte sie wohl am besten als geistige Grundhaltung beschreiben, als emotionale Gestimmtheit, ein umfassendes Lebensgefühl. Dabei ginge es grundsätzlich, so ein anderer Dichter, Novalis, um eine „Wiederverzauberung der Welt“. Dieses Bedürfnis treibt viele seiner Zeitgenossen um: Kein Wunder, ist es doch die Epoche der gewaltsamen Revolution und des allmählich immer schneller Fahrt aufnehmenden Fortschritts. Aber jenseits der historischen Romantik findet sich das Vokabular der Sehnsucht im Biedermeier wieder wie auch in der Moderne – und das bis in unsere Tage.
Zu genau einem solchen historischen Längsschnitt auf der Suche nach romantischen Befindlichkeiten laden derzeit zwei Ausstellungen im Sächsischen: Die Kunsthalle Talstraße in Halle an der Saale und als Außenstelle die Burg Kriebstein, eine in dramatischer Spornlage hoch über der Zschopau thronende mittelalterliche Burganlage. Das schöne Tal, die ragende Burg, da hätte schon vor um 1800 das Herz eines jeden Romantikers gelacht. „Sehnsucht – Romantik“, die Haller Schau, schlägt aber einen weiten Bogen und führt gattungsübergreifend Werke, Zeiten und Medien zusammen (ein sehr romantisches Konzept selbstredend). Aus der Gründungsphase treffen wir auf Carl Blechen, Johann Christian Reinhardt und selbstredend auf den unvermeidlichen Weimarer Geheimrat, Johann Wolfgang von Goethe (mit Zeichnungen). Carl Hasenpflug reichert in der Mitte des Jahrhunderts seine architektonischen Motive an mit Stimmungswerten, gerne solchen der dunkleren Art, und leitet so zur populären Romantik der Düsseldorfer über. Interessant, dass in der zeitlichen Folge auch Künstler auftauchen, denen man eigentlich eher kühle Sachlichkeit nachsagt wie Otto Dix oder Adolf Erbslöh beispielweise. „On the Verge of Nothing“ (2023): Mit seiner weiblichen Rückenfigur, die vom Balkon aus in die Bäume schaut, knüpft Sten Gutglück unübersehbar an den Oberromantiker Caspar David Friedrich an. Damals wie heute geht es um Brüche: Durch Gutglücks zarte Baumkronen zieht sich eine Telefonleitung …
In der „schönsten Ritterburg Sachsens“, wie Kriebstein allgemein gerühmt wird, versammelt „Inspiration Romantik“ zeitgenössische Kunst aus dem Kunstfonds des Landes. Und belegt so, dass wohl gerade heute, in Zeiten, in denen die Gefährdung unserer natürlichen Umwelt erschreckend deutlich wird, die romantische Haltung ein Potenzial für jüngere Künstler bereithalten kann.
Für einen seiner Lieblinge, den Maler Anselm Feuerbach, ist Dieter Begemann kein Weg zu weit!
Sehnsucht – Romantik
11.8. – 3.11.2024
Kunsthalle Talstrasse
Talstr. 23
D-06120 Halle (Saale)
Tel.: +49-345-5507510
Mi – Fr 13 – 18 Uhr, Sa + So 13 – 17 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 6 €
www.kunstverein-talstrasse.de
Inspiration Romantik. Zeitgenössische Kunst aus dem Kunstfonds
bis zum 31.10.2024
Burg Kriebstein
Kriebsteiner Str. 7
D-09648 Kriebstein
Tel.: +49-34327-9520
Di – Fr 10 – 17 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 7 €
www.burg-kriebstein.eu
Text: Dieter Begemann
Erstveröffentlichung in kunst:art 99