Gruppenausstellung in Bern

07.09.2024 - 5.1.2025 | Zentrum Paul Klee

Tarsila do Amaral, O lago, 1928

Vielfalt der brasilianischen Moderne

Die brasilianische Moderne begann in der Woche vom 10. bis zum 17. Februar 1922 in São Paulo. Der Geschäftsmann Paulo Prado hatte mit dem Kunstfestival „Semana de Arte Moderna“ ein glanzvolles Ereignis initiiert, das avantgardistisch arbeitende Künstler zusammenbrachte und diese gleichzeitig einem breiten Publikum vorstellte. Der Anlass war ein Jubiläum: Die Befreiung von der portugiesischen Kolonialmacht jährte sich zum 100. Mal.

Nach dem Ende des Kaiserreichs war in Brasilien gerade erst die Republik ausgerufen und das Ende der Sklaverei manifestiert worden. An eine gemeinsame nationale Kultur war aufgrund der Heterogenität der Gesellschaft mit indigenen Gemeinschaften, den aus Westafrika stammenden ehemaligen Sklaven und den Kolonialherren nicht zu denken. Moderne Kunst mit ihren innovativen, experimentellen Stilrichtungen bot eine unverfängliche Gelegenheit, diese Spaltung zu überwinden.

São Paulo entwickelte sich neben der damaligen Hauptstadt Rio de Janeiro zu einem kulturellen Zentrum, in dem sich neben der bildenden Kunst auch die Architektur mit den international beachteten Protagonisten Oscar Niemeyer und Lina Bo Bardi etablierte. Hier war auch Anita Malfatti als Tochter einer Italienerin und eines US-Amerikaners aufgewachsen. Wie viele Künstler und Künstlerinnen dieser Zeit kam sie durch ihre Ausbildung in Europa mit den neuen Strömungen des Expressionismus, Kubismus und Futurismus in Berührung. Ihre Erfahrungen mit den neuen Kunstrichtungen verarbeitete sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat zu einer eigenen, unverkennbaren Bildsprache, von der sie sich in ihrer Spätphase distanzierte und zu einer klassischen Malweise zurückkehrte.

Tarsila do Armaral entstammte einer Familie, die ihren Wohlstand aus Plantagenbesitz bezog. Nach einer klassischen Kunstausbildung in São Paulo zog es sie nach Paris, wo sie Bekanntschaft mit Picasso, De Chirico und Fernand Léger machte. Moderne Kunst verband sie mit Motiven aus ihrer südamerikanischen Heimat zu einem naiv anmutenden Stil. Als sich die politische Situation in Brasilien in den 1930er-Jahren abermals änderte, begann sie in einem realistischen Stil zu malen.

Aus Europa ging der im litauischen Vilnius geborene Lasar Segall den umgekehrten Weg in Richtung Südamerika. Vor seiner Emigration hatte er bereits einige Jahre in Berlin gelebt, wo er ein Kunststudium absolvierte. Gemeinsam mit Otto Dix gründete er die Dresdner Sezession, er pflegte Kontakte zu Wassily Kandinsky, Paul Klee und Lyonel Feininger.

Überwältigt von den Eindrücken in seiner neuen Heimat Brasilien setzte er sich mit der üppigen Natur, aber auch mit gesellschaftlichen Begebenheiten auseinander. Die Situation in Europa in den 1930er- Jahren sowie der Beginn des Zweiten Weltkrieges veranlassten ihn, Themen wie Verfolgung und Flucht in seinen Bilderkanon aufzunehmen.

Die sehr sehenswerten rund 130 in der Ausstellung gezeigten Werke veranschaulichen die Vielfalt und die unterschiedliche Herangehensweise brasilianischer Künstler an die Moderne.

Brasil! Brasil! Aufbruch in die Moderne
bis zum 5.1.2025
Zentrum Paul Klee
Monument im Fruchtland 3
CH-3006 Bern
Tel.: +41-31-3590101
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 20 CHF, erm. 10 – 18 CHF
www.zpk.org

Text: Karin Gerwens
Bild: Zentrum Paul Klee
Erstveröffentlichung in kunst:art 100