Polaroid-Fotografie
Das Polaroid ist ein technisch vereinfachtes Medium, das mit verschiedenen Funktionen belegt ist. Von der Vorlage über die Dokumentation oder die fotografische Selbsterkundung bis hin zum konstitutiven Bindeglied beim performativen Akt wird es in facettenreiche Strategien und künstlerische Konzepte eingebunden. Polaroid ist ein technisch vereinfachtes Medium, das auf formaler Ebene grundsätzlich simultane Ergebnisse liefert wie die herkömmliche Fotografie. Von Künstlern wie Helmut Newton oder Marlene Dumas als Hilfsmittel oder Gedächtnisstütze genutzt über die nahezu endlose Bildproduktion Andy Warhols, der das Polaroid als “mini-factory” gebrauchte, bis hin zu Lucas Samaras „Photo-Transformations“, ist die Sofortbildfotografie seit ihrer Entstehung in den 1940er-Jahren mit verschiedenen Wertigkeiten belegt.
Mit der in heutigen Tagen nahezu antiquiert wirkenden Technik der Sofortbildfotografie, deren Kunstwürdigkeit immerfort befragt wurde, beschäftigt sich auch Olaf Otto Becker (* 1959): Ein ganzes Jahrzehnt (1992–2002) sogar schoss er ausschließlich Polaroids, die ein bis dato unbekanntes Kapitel in seinem Schaffen, das immer wieder die Schönheit und Fragilität der Natur und die Einflussnahme des Menschen auf diese thematisiert, darstellen und nun erstmals in Augsburg präsentiert werden. Die mediale Logik der Singularität des Polaroids, das mitunter durch seine sichtbare Bildwerdung den ultimativen Abdruck „talbotscher Prägung“ verkörpert, macht auch Beckers rund 300 gezeigte Arbeiten jeweils zu einem Unikat. Zwar haftet jedem fotografischen Erzeugnis zunächst das metaphorische
Brandmal eines technischen Fabrikats an, doch changiert das Polaroid als etwas maschinell Hergestelltes und zugleich einmaliges Original zwischen schneller Massenware und dem ewig Wertvollen.
Vor allem ist es der Umstand einer nicht vorhandenen Negativität des Mediums – unter diesem Aspekt der Digitalfotografie nicht unähnlich –, die weder der Dunkelkammer noch eines exkludierten Entwicklungsprozesses bedarf und somit das, was an der Fotografie Verfahren ist, gänzlich entzieht und den Modus des Fotografierens verändert. Dabei befragt die mediale Simplizität des Polaroids letztlich die theoretischen und rhetorischen Figuren der Fotografiegeschichte wie Index, Original und Unikat sowie den Akt des Fotografierens per se aufs Neue. Auch für Becker scheint die Auseinandersetzung mit der Polaroidfotografie eine private Reflexion und der Diskurs in die Tiefen des Mediums zu sein.
Besonders sehenswert ist die aktuelle Schau im H2, da sich Beckers Polaroids, die mit ihrem inhärenten betont amateurhaften Moment diametral jenen professionellen großformatigen, repräsentativen und wertigen Abzügen in Editionen, nach denen der Markt und das institutionelle Umfeld verlangen, positionieren. Beckers Sofortbilder belegen auf signifikante Weise und von ganz besonderer Aura, wie
sich das Polaroid in seiner eigenen Historie stets von dem negativ konnotierten Status als Schnappschuss zu lösen versuchte und doch immerfort zwischen medialem Fortschritt und Anachronismus fluktuierte.
Dr. Denise Susnja hat über künstlerische Polaroid-Fotografie ihre Dissertation geschrieben.
Olaf Otto Becker. Polaroid
bis zum 12.1.2025
H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast
Beim Glaspalast 1
D-86153 Augsburg
Tel.: +49-821-3244169
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 5,50 €
www.h2-glaspalast.de
Text: Dr. Denise Susnja
Bild: H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast
Erstveröffentlichung in kunst:art 100