
Sozialer Surrealismus
Mika Rottenberg schafft in ihren Videos eine surreale Bilderwelt, in der sie den Markt und die Produktionsbedingungen hinterfragt. Ihre Videos spiegeln absurde Situationen wider, die von der Logik der kapitalistischen Produktion geprägt sind, insbesondere indem sie Frauen als Hauptdarstellerinnen einsetzt. In „No Nose Knows“ (2015), einer Arbeit, die auf der von Okwui Enwezor kuratierten Biennale in Venedig gezeigt wurde, werden Szenen von Plastikperlen, die auf einem Fließband gezüchtet werden, mit Nahaufnahmen einer Frau mit einer riesigen Nase zusammengeschnitten. Sie reagiert allergisch auf die Perlen am anderen Ende des Fließbandes und niest dampfende Teller mit Nudeln und Pasta aus. Auf humorvolle Art und Weise stellt Rottenberg die ernste Frage: Welchen Wert hat die Arbeit, vor allem die Arbeit von Frauen?
Rottenberg erforscht die Grenze zwischen Realität und Fantasie und überbrückt die Kluft zwischen Kontinenten und Dimensionen mit Leichtigkeit und einem Augenzwinkern. Diese Leichtigkeit, mit der sie sich zwischen den Welten bewegt, rührt vielleicht zum Teil von ihrer transnationalen Biografie. Mika Rottenberg wurde 1976 in Buenos Aires geboren. Im Jahr 1977 übersiedelte die Familie von Argentinien nach Israel. Rottenberg verbrachte ihre prägenden Jahre in Tel Aviv, bevor sie Ende der 1990er-Jahre nach New York City zog, wo sie an der School of Visual Arts und an der Columbia University bildende Kunst studierte.
Der Titel dieser umfassenden Ausstellung, „Antimatter Factory“, stammt von einer Forschungsabteilung am CERN in Genf. Rottenbergs Zeit als Artist-in-Residence am CERN lieferte die Inspiration für ihr Werk „Spaghetti Blockchain“ (2019–2024), das in der Ausstellung gezeigt wird. Sie befasst sich mit dem Austausch von Energien, Gegenständen und Menschen, indem sie das Mikroskopische mit dem Makroskopischen verbindet und die Materie wie von Geisterhand durch Zeit und Raum verschiebt. Hier befinden wir uns im Herzen von Rottenbergs künstlerischem Universum. Neben wichtigen Videoarbeiten und Installationen, die zwischen 2003 und 2024 entstanden sind, umfasst die Schau auch ihren Spielfilm „REMOTE“ (2022), der an einem externen Veranstaltungsort gezeigt wird (dem Urania-Kino im ersten Wiener Bezirk). Es gibt neue, hybride Skulpturen aus organischen Materialien und wiederverwertetem Kunststoff sowie kinetische Werke, von denen einige interaktiv sind.
Mika Rottenberg macht sich nicht nur Gedanken über die Ausbeutung der Menschen und ihre Entfremdung in einer kapitalistischen Welt, sondern auch über die ökologischen und sozialen Folgen dieser Mechanismen. Das Kunst Haus Wien ist daher ein besonders geeigneter Ort für ihre erste Wiener Ausstellung. Das „grüne“ Gebäude ist eine Schöpfung des Umweltkünstlers Friedensreich Hundertwasser, und bevor es ein Museum war, war das Gebäude buchstäblich eine Produktionsstätte, die Holzmöbelfabrik Thonet. Eine DIY-Skulpturenstation mit einem Video, das Anleitungen zum Bau einer Skulptur enthält, rundet diese wunderbare Ausstellung ab. Die Besuchenden sind nicht mehr nur Zuschauende, sondern werden selbst Teil der Produktionsmittel. So ermöglicht es uns Mika Rottenberg, unsere eigenen Vorstellungen von Arbeit und wirtschaftlichem Wert aus erster Hand zu hinterfragen und auf einer tiefgreifenden Ebene zu erkennen, dass jeder von uns eigentlich nur ein Glied in der globalen Produktionskette ist.
Dr. Renée Gadsden hat viele Jahre lang Führungen in der wegbereitenden, jetzt aufgelassenen Galerie der Arbeiterkammer Wien gemacht, die als erste in Österreich Fotoausstellungen auch von Lewis Hines, Tina Modotti und Weegee zeigte.
Mika Rottenberg. Antimatter Factory
27.2. – 10.8.2025
Kunst Haus Wien
Untere Weißgerberstr. 13
A-1030 Wien
Tel.: +43-1-7120491
Täglich 10 – 18 Uhr
Eintritt: 15 €, erm. 12 €
www.kunsthauswien.com